agonia romana v3 |
Agonia - Ateliere Artistice | Reguli | Mission | Contact | Înscrie-te | ||||
Articol Comunităţi Concurs Eseu Multimedia Personale Poezie Presa Proză Citate Scenariu Special Tehnica Literara | ||||||
|
||||||
agonia Texte Recomandate
■ LaraicaElbaSavașiDrina
Romanian Spell-Checker Contact |
- - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2005-12-06 | [Acest text ar trebui citit în deutsch] | Înscris în bibliotecă de Valeria Pintea
Einundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin nähern sich den französischen Küsten. Wovon sie sich unterhalten
Endlich näherten sie sich den französischen Küsten. Sind Sie jemals in Frankreich gewesen, Herr Martin, fragte Kandide. Martin. Wohl bin ich's; ich habe manche seiner Provinzen durchstrichen, fand in der einen fast lauter Hasenfüße, in dieser und jener, und jener und dieser lauter erzabgefeimte Schlauköpfe, in jener und der, den größten Haufen lammfromm und schafdumm, in noch andern ein paar Schöngeister. Das Hauptsteckenpferd all' dieser Leute aber war Liebe, welches sie mit zwei andern abwechselten, Afterreden und Schnickschnack genannt. Kandide. Haben Sie Paris gesehn, lieber Martin? Martin. Ich hab's. Da finden Sie all' den Schlag von Leuten in einen Topf geworfen; 's ist ein wahres Chaos. Ein gedrangvoller, lärmreicher Ort, worin alt und jung „dem Vergnügen nachjagt", und meines Bemerkens es niemand findet. Lange hab' ich mich dort nicht aufgehalten; kaum war ich angekommen, so hatten die Spitzbuben auf dem St.-Germains-Markte mir all' mein bißchen Barschaft weggestohlen. Man hielt mich selbst für einen Spitzbuben; acht Tage lang mußt ich im Gefängnisse sitzen, hernach ward ich Korrektor, um mir nur so viel zu verdienen, daß ich per pedes Apostolorum wieder nach Holland konnte. Ich habe das schmierende, das kabalebrütende und das fanatische Gesindel kennengelernt. Es soll aber noch recht brave, artige Leute in der Stadt geben; ich will's glauben. Kandide. Ich meines Teils finde gar keinen Trieb, Frankreich zu sehen; Sie können leicht erachten, wenn man einen Monat lang in Eldorado gewesen, daß man weiter nichts zu sehen wünscht als Baroneß Kunegunden. Ich will sie zu Venedig erwarten; wir wollen über Frankreich nach Italien gehn. Sie begleiten mich doch? Martin. Versteht sich. Zwar sagt man, Venedig sei nur für die Nobili di Venezia, indes nimmt man auch Ausländer recht gut dort auf, wenn sie viel drauf gehn lassen; ich kann's nun nicht, aber Sie können's, und darum zieh' ich mit, wohin Sie wollen. Kandide. Sagen Sie mir doch, Freund, glauben Sie, was der dicke Foliant da von unserm Schiffskapitän behauptet, daß die Erde im Anbeginn ein Meer gewesen ist? Martin. Platterdings nicht! so wenig als all, die Alfanzereien, womit das Heer der Schreiberlinge seit einiger Zeit zu Markte gezogen kommt. Kandide. Zu was Ende ist denn die Welt erschaffen worden? Martin. Damit wir alle sollen rasend werden. Kandide. Wundern Sie sich nicht über die Liebe der beiden Dirnen für die zwei Paviane, wovon ich ihnen erzählt? Martin. Nicht im geringsten. Ich sehe gar nicht, wo das Sonderbare dieser Leidenschaft sitzt. Ich habe so viel Außerordentliches gesehn, daß mir jetzt gar nichts mehr außerordentlich vorkommt. Kandide. Glauben Sie wohl, daß die Menschen von jeher sich niedergemetzelt haben, wie heutzutage? Daß sie stets gelogen und betrogen haben, stets treulose, undankbare, räubrische, flatterhafte, schurkische, neidische, prasserische, versoffene, geizige, ehrsüchtige, blutlechzende, verleumdrische, hurende, schwärmende und alberne Geschöpfe gewesen sind? Martin. Glauben Sie, daß die Sperber von jeher Tauben gefressen haben, wenn sie ihrer habhaft werden können? Kandide. Wohl glaub' ich's! Martin. Nun dann, wenn das immer der Charakter der Sperber gewesen ist, warum sollen grade die Menschen ihren Charakter geändert haben? Kandide. Wohl unterscheiden sich Sperber und Menschen! denn letztere haben ihren freien Willen, können also ... Unter diesen Gesprächen waren sie in Bordeaux angekommen. Zweiundzwanzigstes Kapitel: Was Kandiden und Martinen in Frankreich begegnet Kandide hielt sich nur so lange Zeit in Bordeaux auf, als nötig war, einige eldoradosche Kieselsteine in Gold und Silber umzusetzen und sich eine zweisitzige Kutsche anzuschaffen, denn sein Philosoph Martin war ihm ganz unentbehrlich geworden. Daß er sich von seinem Hammel trennen mußte, tat ihm herzlich leid. Er überließ ihn der Akademie der Wissenschaften zu Bordeaux, welche die Untersuchung, warum die Wolle dieses Hammels rot sei, zur dermaligen Preisaufgabe machte. Ein nordischer Gelehrter bewies durch A + B — C, dividiert durch Z, daß der Hammel rot sein und an den Pocken sterben müßte, und seine Abhandlung ward preisgekrönt. Alles, was Kandiden begegnete, ging Hals über Kopf nach Paris; das machte Kandiden auch lüstern, diese Hauptstadt zu sehn; und Hals über Kopf eilt' er ihnen nach. So sehr viel lag es auch eben nicht von dem Wege nach Venedig. Er kam durch die Vorstadt St. Marceau herein und glaubte sich in dem schmutzigsten Dorfe Westfalens zu befinden. Kaum war er im Gasthofe angekommen, so befiel ihn eine kleine Unpäßlichkeit, eine Frucht seiner Strapazen. Da er einen außerordentlich großen Diamanten an seinem Finger hatte und man unter seinem Gepäck eine recht vollwichtige Schatulle wahrgenommen hatte, so fanden sich gleich unverlangt zwei Ärzte ein, einige sehr warme Freunde und zwei Betschwestern, die ihm seine Suppen wärmten. Ich erinnre mich doch auch, krank gewesen zu sein, sagte Martin, wie ich zuerst in Paris ankam; da waren aber — denn ich war rattenkahl — weder Freunde noch Ärzte, noch Betschwestern, und ich genas doch. Durch das viele Arzeneien und Aderlassen ward Kandide endlich in vollem Ernste krank, recht gefährlich krank. Der Vicarius des Viertels kam zu ihm und bat, er möchte doch einen Paß an Sankt Petern mitnehmen, damit er ihn gleich zum Himmelspförtchen einließe. Kandide wollte durchaus nicht; die beiden Betschwestern versicherten, es wäre die neuste Mode, Kandide versicherte ihnen dagegen, er wäre gar nicht für neue Moden. Martin wollte den Vicarius zum Fenster hinauswerfen; der Geistliche schwor, Kandide sollte nie auf den Kirchhof kommen. Martin schwor dagegen, er wolle ihn bald auf den Kirchhof schicken, wenn er ihnen noch länger auf dem Halse läge. Das Gezeter ward sehr heftig, und Martin schleuderte den Pfaffen beim Arme zur Tür' hinaus. Das gab großen Skandal, und die Sache wurde fiskalisch untersucht. Kandide genas, und während der Genesung hatte er stets gute Gesellschaft zum Souper bei sich. Man spielte hoch. Er bekam nie ein As, was ihn denn nicht wenig Wunder nahm, Martinen aber gar nicht. Unter denen, die ihm die Honneurs der Stadt machten, befand sich ein winziges Abbuchen aus Perigord. Einer von jenen frechen, bartstreichlerischen, sich in jede Laune schmiegenden und fügenden, bald da, bald dorthin fispernden, ewigen Scharwenzlern, die den Ausländern wegelagern, ihnen die skandalöse Geschichte der Stadt erzählen und ihnen Vergnügungen von jeder Art und für jeden Preis anbieten. Dies allerliebste Männchen begann damit, daß er Kandiden und Martinen in die Komödie führte. Man gab ein neues Trauerspiel. Kandide saß bei einigen Schöngeistern. Demungeachtet weint' er in einigen meisterhaft gespielten Szenen. Einer von den neben ihm sitzenden Kritlern sagte in einem Zwischenakte: Sie vergießen ohne alle Ursach Tränen, mein Herr. Die Schauspielerin ist erbärmlich, ihr Mitspieler noch erbärmlicher und das Stück noch weit erbärmlicher wie die Schauspieler. Die Szene liegt in Arabien, und doch versteht der Verfasser kein Wort Arabisch; glaubt überdies nicht einmal an angeborne Ideen, der elende Wicht! Morgen will ich Ihnen zwanzig Traktätchen mitbringen, alle gegen den Dramatifex gerichtet. Wieviel dramatische Stücke haben Sie wohl in Frankreich! frug Kandide den Abbé. Fünf- bis sechstausend, antwortete er. Viel, und wieviel gute darunter? sagte Kandide. Fünfzehn, erwiderte jener. Noch immer viel! versetzte Martin. Kandide gefiel eine Schauspielerin sehr, welche die Königin Elisabeth in dem ziemlich platten Trauerspiel dieses Namens machte, das wohl bisweilen gegeben wird. Ein recht brav Mädel die Aktrice, sagt' er zum Martin. Sie hat etwas von Baroneß Kunegunden an sich; ich möcht' ihr gern mein Kompliment machen. Der Abbé aus Perigord war gleich mit dem Anerbieten bei der Hand, ihn bei ihr einzuführen. Kandide, in Teutschland geboren und erzogen, fragte, was hiesige Etikette sei, und wie man in Frankreich den Königinnen von England begegnete. In der Provinz, Herr Baron, antwortete der Abbé, führt man sie in's Wirtshaus, zu Paris hält man sie in hohen Ehren und Würden, wenn sie schön sind; sterben sie, so wirft man sie auf den Schindanger. Königinnen auf den Schindanger? fragte Kandide. Ja wahrlich! der Herr Abbé hat Recht, sagte Martin; ich war zu Paris, als Demoiselle Lecouvreur das Zeitliche mit dem Ewigen vertauschte, wie man zu sagen pflegt; man verweigerte ihr, was die Leute hier zu Lande ein ehrliches Begräbnis nennen, das heißt, man wollte sie nicht mit all' den Bettlern aus einem Stadtviertel auf einem lumpichten Kirchhof zusammen vermodern lassen; ihre Bande verscharrte sie an einer Ecke der Rue de Bourgogne, ganz allein; das muß ihrem armen Seelchen mehr denn die folterndste Höllenpein sein, denn es war immer ein sehr nobeldenkendes Mädchen gewesen. Sehr ungeschliffen! sagte Kandide. Was tun? antwortete Martin. Die Leute sind nun einmal hier so. Denken Sie sich alle möglichen Widersprüche, alle möglichen Ungereimtheiten in eine Masse zusammengeknetet, so haben Sie die Regierungsform, die Gerichtshöfe, die Kirchen, die Schauspiele dieser drollichten Nation. Ist es wahr, daß man zu Paris beständig lacht? frug Kandide. Das tut man, sagte der Abbé, es ist aber eine bittre Lache, die Lache kochender Wut; man bringt dort die herzschneidendsten Klagen mit der schallendsten Lache hervor, ja verrichtet sogar die abscheulichsten Handlungen mit lachendem Munde. Wer war denn das dicke Schwein, sagte Kandide, das auf ein Stück lästerte, worin ich so geweint habe, und auf Schauspieler, die mir so gefallen hatten? „Ein elender hungerleiderscher Duckmäuser, der um ein paar Bissen Brot zu verdienen, alle Stücke und alle Bücher herunterlästert; jeden emporkommenden Schriftsteller haßt, wie der Verschnittne den vollglücklichen Liebhaber; eins von jenen Literaturinsekten, die sich bloß von Dreck und Gift und Geifer nähren; es ist ein gallsüchtiger Neidhart." Ein gallsüchtiger Neidhart? sagte Kandide. „Ei ja! So ein Flugblättler, ein gewisser Fréron." So schwatzten Kandide, Martin und der Abbé aus Perigord auf der Komödienhaustreppe und sahen die Zuschauer alle neben sich vorbeiziehn. So vielen Drang ich auch fühle, Baroneß Kunegunden zu sehn, sagte Kandide, so möcht' ich doch wohl heut abend mit Demoiselle Clairon speisen. Es scheint mir ein ganz herrliches Mädchen. Der Herr Abbé war ein zu jämmerliches elendes Wichtchen, um Zutritt bei der Demoiselle Clairon zu haben, bei der sich stets der angesehenste Zirkel befand. Auf heut abend ist sie versagt, hub der aus Perigord an, ich werd' aber die Ehre haben, den Herrn Baron zu einer vornehmen Dame zu führen, wo Sie Paris so sollen kennenlernen, als hätten Sie sich vier Jahr hier aufgehalten. Der von Natur neugierige Kandide ließ sich zu der Dame führen, die am äußersten Ende der Vorstadt St. Honore wohnte. Man war dort mit Pharao beschäftigt. Zwölf sauertöpfige Pointeurs hatten jeglicher sein Büchelchen Karten in der Hand, das eselsgeöhrte Verzeichnis ihrer Unglücksfälle. Überall war das tiefste Stillschweigen; Totenblässe saß auf der Stirn des Pointeurs; Besorgtheit auf der Stirn des Bankiers, und die Dame vom Hause, die diesem unbarmherzigen Bankier zur Seite saß, gab mit Falkenaugen auf alle Parolis und sept-et-le-va de campagne acht, wozu jeder Spieler seine Karten kniff; streng auflauernd aber mit Feinheit ließ sie alle Eselsohren wieder ausmachen und bange, ihre Kunden zu verlieren, ward sie gar nicht aufgebracht. Diese Dame hieß die Marquise de Parolignac. Ihre fünfzehnjährige Tochter befand sich unter den Pointeurs und verriet durch einen Augenwink all die Gaunereien dieser armen Teufel, die der ihnen griesgramenden Fortuna ein Lächeln abzwingen wollten. Der Abbé, Kandide und Martin traten herein. Niemand stand auf, bekomplimentierte sie, blickte gar auf sie hin; sie waren insgesamt mit ihren Karten viel zu sehr beschäftigt. Die Frau Baronessin von Donnerstrunkshausen war weit höflicher, sagte Kandide. Indes hatte sich der Abbé dem Ohr der Marquise genähert; sie lüpfte sich ein wenig in ihrem Armstuhl, beehrte Kandiden mit einem graziösen Lächeln, Martinen mit einem hochadlichen Kopfneigen, und ließ Kandiden einen Stuhl und Karten reichen. In zwei Taillen hatte er fünfzigtausend Franken verloren. Hierauf nahm man in der größten Fröhlichkeit das Souper. Jedermann erstaunte, daß Kandide bei seinem Verluste so kalt blieb, und die Bedienten sagten untereinander in ihrer Bedientensprache: Das muß mein Seel ein englischer Mylord sein. Das Souper glich den meisten parisischen Soupers. Erst war alles still, dann entstand mit einemmal ein Wortgetöse, wobei niemand hörte, was er selbst sagte, alsdann strömte man in Scherzen, Einfällen aus, die meistenteils herzlich schal und kahl waren, brachte falsche Neuigkeiten aufs Tapet, schiefe Räsonnements; es ward ein bißchen gekannegießert, und viel geafterredet; man schwätzte und krittelte sogar über neue Bücher. Der Abbé fragte: Haben sie schon den neuen Roman gelesen, den. der Doktor Theologiä Herr Gauchat, geschrieben? Leider, sagte einer von den Gästen, aber nicht bis zu Ende. Es war mir unmöglich. Es kömmt viel albern Zeug heraus, aber so was Albernes, wie der Wisch vom Herrn Doktor Gauchat, hab' ich noch nie gesehn; die Sündflut von abscheulichen Schriften, womit wir überschwemmt sind, die einem ganz bis ans Kinn dringt, verekelt einem alles Bücherlesen dermaßen, daß ich mich auf's Pointieren gelegt habe. Und was sagen Sie zu den vermischten Schriften des Archidiakonus T..." fragte der Abbé. Ein unausstehliches Geschöpf! rief die Frau von Parolignac. Wohlbekannte alltägliche Dinge kramt er mit der geheimnisvollsten Miene aus; was nur einer hingeworfnen Bemerkung bedarf, erörtert er aufs weitschweifigste und schwerfälligste; ohn' einen Funken Witz zu haben, eignet er sich andrer Leute ihren zu; was er stiehlt, verdirbt er durch den Senf, den er darüber schüttet. Der Mann macht mich ganz wild! Doch er soll's nicht mehr. Mehr denn zuviel, wenn man vom Herrn Archidiakonus ein paar Seiten gelesen! Ein Mann von Gelehrsamkeit und Geschmack, der sich mit an der Tafel befand, bekräftigte das Urteil der Marquise. Man kam nachher auf die Trauerspiele. Die Dame fragte, woher es käme, daß manche Trauerspiele in der Vorstellung etwas täten, im Lesen aber nicht auszuhalten wären? Der Mann von Geschmack setzte es sehr gut auseinander, wie ein Stück etwas Anziehendes haben und demungeachtet doch nichts taugen könnte, bewies mit wenig Worten, daß es nicht genug sei, ein oder zwei Situationen anzubringen, die man in jedem Roman antrifft, und die immer etwas Verführerisches für die Zuschauer haben, sondern daß man originell sein müsse, ohne phantastisch zu sein, erhaben, ohne unter den Sonnen herumzuwandeln, das Herz kennen und es reden lassen, großer Dichter sein, und doch aus keiner von seinen Personen den Dichter hervorstechen lassen, den ganzen Sprachschatz zu benutzen wissen, nie den Wohlklang vergessen, nie einen Gedanken dem Reim aufopfern. Wer all' diese Regeln nicht sorgfältig in acht nimmt, setzt' er hinzu, kann zwar Trauerspiele verfertigen, die auf dem Theater gefallen, er wird aber nie einen Rang unter den guten klassischen Schriftstellern erhalten. Gute Trauerspiele haben wir sehr wenige. Viele sind ganz wohldialogierte und wohlversifizierte Idyllen, andre ein Schlafmittel in Form eines politischen Geschwätzes oder artige Brechmittel von Übertreibungen; wieder andre das kunterbunteste Tollhäuslergewäsch; zerstückelte Reden, lange Apostrophierungen an die Götter, (denn mit Menschenkindern wissen die Herren nicht zu sprechen) falsche Maximen, hochgeschraubte Gemeinplätze. Kandide hörte aufmerksam zu, und faßte von diesem Kritiker eine große Meinung; und da die Marquise ihm neben sich einen Platz zu geben die Güte gehabt hatte, so nahm er sich die Freiheit ihr die Frag' ins Ohr zu flüstern: wer der so gesundurteilende Mann wäre? Ein Gelehrter, sagte die Dame, der nicht pointiert und den der Abbé manchmal zum Abendbrot herbringt; ein großer Kenner von Trauerspielen und Büchern. Er hat eine ausgepfiffne Tragödie gemacht und ein Buch, davon nie ein anders Exemplar aus seines Verlegers Laden gekommen ist als das, so er mir dediziert hat. Ein großer Mann sagte Kandide! ein zweiter Panglos! Hierauf sagt' er sich an ihn wendend: Vermutlich glauben Sie doch auch, mein Herr, daß in der physischen Welt sowohl als in der moralischen alles aufs beste eingerichtet ist, und daß nichts einen andern Gang nehmen kann? Nichts weniger denn meine Meinung, antwortete der Gelehrte. Ich finde vielmehr, daß bei uns alles der Quere geht, daß niemand weiß, was seines Rangs, seines Amts ist, noch was er tut, noch was er tun soll, und nehm ich die Soupers aus, wobei noch immer Fröhlichkeit herrscht und auch ziemlich viel Eintracht, so bringen die Menschen den ganzen Überrest ihres Lebens mit dem albernsten Gezeter hin. Jansenisten sind gegen Molinisten, Parlamentsglieder gegen Männer von Literatur, Hofschranzen gegen Hofschranzen, Finanzpächter gegen das Volk, Weiber gegen ihre Männer, Anverwandte gegen Anverwandte; kurz, es ist ein ewiger Krieg. Kandide antwortete ihm: Ich habe noch viel Schlimmers gesehen; allein ein weiser Mann, der nachher das Unglück gehabt, aufgehängt zu werden, lehrte mich, daß alles über die Maßen gut sei und daß das Schlimme bloß das wäre, was der Schatten in einem schönen Gemälde. Der Herr Weise am Galgen hatte die Leute zum besten, sagte Martin; diese Schatten sind gräßliche Flecke. Die Menschen sind's, die diese Flecke machen, und sie können's nicht vermeiden, sagte Kandide. Sonach ist's nicht ihre Schuld, antwortete Martin. Die meisten von den Pointeurs, denen dies Rotwälsch war, zechten, Martin unterhielt sich mit dem Gelehrten, und Kandide erzählte einen Teil seiner Abenteuer der Dame vom Hause. Nach dem Souper führte die Marquise Kandiden in ihr Kabinett; er mußte sich auf ein Sofa setzen. Die Dame. Nun, glühen Sie noch immer für Mademoiselle Cunegonde von Dundertronksaus? Kandide. Noch immer, gnädige Frau! Marquise (mit einem zärtlichen Lächeln). Geantwortet wie ein echter junger Westfale. Ein Franzos an Ihrer Stelle hätte zu mir gesagt: Bisher Madam; seit ich Sie aber gesehn, besorg' ich sehr, Mademoiselle Cunegonde nicht mehr zu lieben. Kandide. O, Madame, sprechen Sie, was ich sagen soll, ich will ja alles sagen. Marquise. Ihre Leidenschaft für die Baronne begann dadurch, daß Sie ihr Schnupftuch aufhoben, jetzt sollen Sie mir mein Strumpfband aufnehmen. Herzlich gern, Madam, sagte Kandide, und hob's auf. Sie müssen mir's nun wieder umbinden, hub die Dame an, und Kandide tat's. Sehn Sie, sagte die Dame, Sie sind ein Ausländer, meine Pariser Liebhaber laß' ich manchmal fünfzehn Tage schmachten, Ihnen aber ergeb' ich mich in der ersten Nacht, denn einem jungen Westfalen muß man die Honneurs seines Landes machen. Die Dame war Französin, Kandide glühend vom Wein, noch glühender von den Reizen, die er oberhalb des Knies der Marquise beim Strumpfbandumbinden in dem verführerischsten Prospekte zu sehn Gelegenheit gehabt; das Kabinett wollüstigdämmernd; alles ringsum hatte so viel Anlockendes; allein waren sie; er erlag. Sie spielten ihr Duodram beide recht brav; die Dame, als eine Frau von Welt geübt in den schlauesten, unterhaltendsten Buhlerinnenkünsten; Kandide, als ein unentnervter junger Westfale; er nahm sich völlig dabei, wie Herkules in der Nacht gegen die Fünfzig. Nach geendeter Sofaszene lobte die Schöne zwei übergroße Diamanten, die sie bereits längst bei ihrem jungen Fremden wahrgenommen hatte, so treuherzig, daß sie in einem Hui an den Fingern der Marquise saßen. Wie Kandide mit seinem Abbé nach Hause ging, stiegen ihm einige Skrupel wegen der Untreue auf, die er an der Baroneß Kunegunde begangen hatte; der Herr Abbé nahm an seinem Kummer teil: er hatte an den fünfzigtausend Livres, die Kandide in dem Spiel verloren hatte und an den beiden Brillanten, die halb geschenkt, halb abgedrungen waren, nur sehr geringen Anteil gehabt. Der Herr Abbé, der jetzt einen tüchtigen Schnitt zu machen dachte, war bemüht, sich bei Kandiden immer mehr einzulieblen, schwatzte ihm viel von Kunegunden vor, und Kandide sagte: er wollte ihr auf den Knien auf's herzinnigste seine Untreue abbitten, wenn er sie zu Venedig sähe. Der Abbé verdoppelte seine Höflichkeit und seine Aufmerksamkeit, nahm an alle dem, was Kandide sagte, tat, ja noch tun wollte, den wärmsten Anteil. So haben Sie mit ihr ein Rendezvous zu Venedig verabredet? fragte er. „Das hab' ich, lieber Abbé; ich muß platterdings mein Gundchen wiederfinden." Das Vergnügen, von seiner Geliebten sprechen zu können, riß ihn hin, und er erzählte, nach seiner löblichen Gewohnheit, einen Teil seiner Abenteuer mit dieser berühmten Westfalin. Baroneß Kunegunde hat zweifelsohne viel Geist, sagte der Abbé, und schreibt treffliche Briefe. „Was ich nicht sagen kann! Ich habe nie welche von ihr bekommen. Als ich wegen meiner Liebe zu ihr war aus dem Schlosse gejagt worden, könnt' ich nicht an sie schreiben; bald darauf erfuhr' ich, sie sei tot, hernach fand ich sie wieder, und verlor sie plötzlich, und jetzt habe ich ihr zweitausendfünfhundert Meilen von hier einen Expressen gesandt, dessen Antwort ich erwarte." Der Abbé hörte aufmerksam zu und schien ein wenig staunend. Bald darauf nahm er mit der zärtlichsten Umarmung von den beiden Fremden Abschied. Den folgenden Morgen erhielt Kandide einen Brief, folgendermaßen abgefaßt: „Mein Bester, seit acht Tagen lieg ich hier krank. Jetzt eben vernehm ich, daß Sie hier sind. Trügen mich meine Beine, so flög ich in Ihre Arme. Zu Bordeaux erfuhr ich, wohin Sie sich gewandt hatten; ich habe den treuen Kakambo und die Alte dort gelassen, die bald hier eintreffen müssen. Der Gouverneur von Buenos Aires hat mir alles genommen, aber Ihr Herz bleibt mir noch übrig. Kommen Sie, Ihre Gegenwart schenkt mir entweder das Leben wieder oder tötet mich vor Vergnügen." Ihre Kunegunde Dieser entzückende, unverhoffte Brief machte Kandiden ganz berauscht vor Freude, allein die Unpäßlichkeit seiner Lieben schlug ihn äußerst nieder. Ein Spielball dieser beiden Empfindungen nahm er sein Gold und seine Diamanten und ließ sich samt Martinen in das Hotel führen, worin Baroneß Gundchen logierte. Mit hochklopfendem Herzen, an jedem Gliede vor Vergnügen zitternd und mit bebender Stimme stürzt er in ihr Zimmer, wollte die Bettvorhänge aufreißen, wollte Licht haben. Um Gottes willen nicht! 's ist dem Gnädigen Fräulein nichts schädlicher wie's Licht! schrie die Magd, und ritz-ratz! wurden die Vorhänge dicht fest wieder zugezogen. Was machen Sie, liebste Kunegunde? sagte Kandide mit einem Strom von Tränen. Lassen Sie mich doch wenigstens Ihre Stimme hören, da ich Ihr Gesicht nicht sehen darf. Ja, sprechen darf meine gnädige Herrschaft auch nicht, sagte das Mädchen. Die Dame streckte eine runde, fleischichte Hand zum Bette hinaus, die Kandide lange mit Tränen benetzte, und hernach mit Diamanten anfüllte; auf den Stuhl neben ihrem Bette hatt' er einen Beutel mit Gold hingelegt. Kandide schwamm in Liebeswonne, als ein Gefreiter mit etlichen Mann hereintrat, der Abbé begleitete ihn. Das sind also die beiden verdächtigen Fremden? sagte ersterer. Sogleich bemächtigte man sich ihrer, und die Muskoten waren auf dem Sprunge, sie ins Gefängnis zu schleppen. So begegnet man in Eldorado den Fremden nicht, sagte Kandide. Ha! ich bin mehr Manichäer denn je, rief Martin. Aber mein Herr, wo führen Sie uns hin? sagte Kandide. In ein tiefes Loch unter der Erde, antwortete der Gefreite. Martin, der all' seine Kaltblütigkeit wieder hatte, schloß, die vorgebliche Baroneß Kunegunde sei eine Betrügerin, der Herr Abbé, der sich Kandidens Treuherzigkeit aufs schleunigste zu Nutze gemacht hatte, und der Gefreite ein andrer Spitzbube, den man leicht loswerden könnte. Ehe Kandide die Sache zu gerichtlichen Weitläufigkeiten gedeihen ließ, bot er auf Anraten Martins und seines Herzens, das sich äußerst nach der wahren Kunegunde sehnte, dem Gefreiten drei kleine Diamanten an; jeder ungefähr dreitausend Dublonen wert. O mein Herr, schrie der Mann mit dem elfenbeinernen Stabe, und hätten Sie auch Allerweltsmissetaten begangen, so sind Sie doch der bravste Kavalier auf Gottes Erdboden! Mir drei Diamanten zu geben! Jeden zu dreitausend Dublonen. Totschlagen will ich mich eh'r für Sie lassen, Herr Milord, als Sie ins Gefängnis führen. Zwar haben wir die strengste Order, jedweden Fremden zu arretieren, wes Standes und Würden er auch sei: ich will aber das Ding schon 'rumzudrehen wissen. Ich habe zu Dieppe in der Normandie einen Bruder, zu dem will ich Sie bringen, und haben Sie noch einen Diamanten d'ran zu spendieren, so wird er so gut für Sie sorgen, als wär' ich's selbst. Und warum werden hier alle Fremden in Haft genommen? frug Kandide. Jetzt ergriff der Abbé das Wort und sagte: Darum, weil ein elender Schuft aus dem Lande Atrebatien (Artois) jämmerlichen, elenden Schnickschnack gehört hatte, bloß deshalb hatte er einen grausamen Vatermord begangen, einen solchen freilich nicht, wie er 1610 im Maimonat begangen wurde (Ravaillac), sondern einen solchen, als 1594 im Monat Dezember vorfiel (J. Châtel); auf dessen Schlag nachher noch viele andre Mordtaten in andern Jahren und andern Monaten von andern elenden Schuften aus gleichen Gründen sind ausgeführt worden. Der Gefreite erklärte jetzt, was der Abbé im dunkeln gelassen hatte. Ha! die Ungeheuer! schrie Kandide. Wie? solche gräßliche Taten werden unter einem Volke verübt, das singt und tanzt! Kam' ich doch aufs schnellste aus einem Lande, wo Affen Tiger aufhetzen! Bären sah ich in meinem Vaterlande, Menschen nur in Eldorado! Um Gottes willen, Herr Gefreiter, schaffen Sie mich nach Venedig, wo ich Baroneß Kunegunden erwarten muß. Weiter kann ich Sie nicht bringen, lieber Herr Baron, als nach der unteren Normandie, versetzte der Anführer der Sbirren. Sogleich ließ er ihm seine Bande abnehmen, sagte: es wäre ein Versehn, schickte seine Leute zurück, führte Kandiden und Martinen nach Dieppe, wo er sie in den Händen seines Bruders ließ. Es lag ein kleines holländisches Schiff auf der Reede. Der Normann, der mittels dreier andrer Diamanten das dienstfertigste Geschöpf von der Welt geworden war, nahm Kandiden und seine Leute auf dies Schiff, das nach Portsmouth in England ging. Freilich war das nicht der Weg nach Venedig, allein Kandide nahm sich vor, ihn bei erster bester Gelegenheit einzuschlagen. Jetzt dankt er nur Gott, daß er aus der Hölle heraus war. Dreiundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin kommen an die englischen Küsten; was sie dort sehn Kandide. Ha,Panglos!Panglos! Ha,Martin!Martin! Ha,meine traute Kunegunde! was ist diese Welt hier! sagte Kandide auf dem holländischen Schiff. Martin. Ein erzpudelnärrsches und erzabscheuliches Gemachte. Kandide. Sie sind doch in England bekannt, gibt's dort ebensolche Toren wie in Frankreich? Martin. Eben! nur von anderm Schnitt und von andrer Farbe. Sie wissen, diese beiden Nationen führen wegen ein paar lumpichter Hufen Schnee, die gegen Kanada liegen, Krieg, und verschwenden bei diesem allerliebsten Kriege weit mehr, als das ganze Kanada wert ist. Ihnen genau zu bestimmen, ob's hier zu Lande mehr Leute gibt, die man an die Kette legen sollte, wie in jenem, das vermag ich nicht; dazu hab' ich zu wenig Auge. Bloß das weiß ich, daß die Leute, wo wir jetzt hinkommen, eine starke Dosis schwarzer Galle bei sich führen. So hatten sie sich an die Gestade von Portsmouth hingeplaudert. Eine Menge Pöbel strömte zum Ufer hin und schaute mit unverrücktem Auge nach einem ziemlich großen, dicken Mann, der mit verbundnen Augen auf dem Verdeck eines Schiffs aus der Flotte kniete. Ihm gegenüber standen vier Soldaten, die ihm mit dem kältesten Herzen und Auge drei Kugeln ins Gehirn jagten, und die ganze Versammlung ging in der vergnügtesten Laune auseinander. Was heißt das! sagte Kandide. Üben denn überall böse Geister ihre Macht! Wer war denn der Sir Wanst, den Ihr mit solchen Solennitäten umbrachtet? fragte er einen von den Umstehenden. Ein Admiral, war die Antwort. Und wozu tötet Ihr diesen Admiral? „Er hat nicht Leute genug umgebracht; er ficht mit einem französischen Admiral, und nachher findet sich's, daß er ihm nicht dicht genug auf der Haut gewesen ist." Aber, sagte Kandide, der französische Admiral war ja so weit vom englischen als dieser von jenem. „Nicht zu leugnen, indes kann's hier zu Lande gar nicht schaden, wenn einmal ein Admiral arquebusiert wird, desto mehr lodert den übrigen der Mut an." Der gehabte Anblick, die eben gehörte Rede hatten Kandiden so betäubt, wurmten ihm so sehr, daß er nicht einmal den Fuß ans Land setzen wollte, und auf der Stelle mit dem holländischen Schiffer bedung, ihn ungesäumt nach Venedig zu bringen; sollte selbiger ihn auch gleich wie der surinamsche Schiffspatron begaunern. Binnen zwei Tagen war der Schiffer klar. Es ging an den Küsten von Frankreich weg, dicht vor Lissabon vorbei, wo Kandiden kalter Schauer über den Nacken lief; hinein in die Straße von Gibraltar und so ins Mittelländische Meer; endlich lag man vor Venedig. Gottlob, sagte Kandide zu Martinen, den er feurig umarmte, hier werd' ich sie wiedersehn, die schöne Kunegunde! Auf Kakambo'n rechne ich wie auf mich selbst. Oh! es geht alles gut! alles! es kann gar nicht besser sein. Vierundzwanzigstes Kapitel: Von Gertruden und Bruder Viola'n Kaum hatten sie den Fuß in die Stadt Venedig gesetzt, so ließ er Kakambo'n in allen Wirtshäusern suchen, in allen Kaffeehäusern, bei allen Töchtern der Freude; kein Kakambo zu finden. Täglich mußten seine Leute nach dem Hafen und nachfragen; es mochte Schiff oder Barke gekommen sein. Nichts zu hören noch zu sehn von Kakambo'n! Das ist mir unbegreiflich, sagte Kandide zu Martin. Ich bin von Surinam nach Bordeaux gegangen, von Bordeaux nach Paris, von Paris nach Dieppe, von Dieppe nach Portsmouth, bin Spanien und Portugal längs gesegelt, habe das ganze Mittelländische Meer durchstrichen, etliche Monate zu Venedig verbracht, und doch hat sich in all' der Zeit Baroneß Gundchen nicht eingestellt! Ich habe statt ihrer weiter nichts gefunden als eine Hure und einen Abbe aus Perigord. Ganz gewiß ist sie tot, meine Gunde! Ihr nach ist noch das einzige, was du tun kannst, Kandide! ------ Ha! war' ich doch in dem Paradiese, im Eldorado geblieben und nicht nach dem Drachenneste, dem Europa zurückgekehrt! Sie haben ganz recht, lieber Martin! Es ist alles in der Welt leerer blauer Dunst! Ist allenthalben Trug und Elend! Es befiel ihn so düstere Schwermut, daß er weder an der opera alla moda, noch an irgendeiner Faschingslustbarkeit teilnahm, sogar bei einer Danae von Mädchen stieg ihm kein Fünkchen Begier auf. Gute, treuherzige Seele! sagte Martin, sich einzubilden, ein Mestize von Bedienten mit fünf oder sechs Millionen in der Tasche wird hingehn bis ans Ende der Welt und Ihre Geliebte aufsuchen. Findet er sie, so fischt er sie für sich selbst weg; findet er sie nicht, so wirft er seinen wohlbespickten Köder einem andern Dirnchen in den Rachen. Mein Rat ist der: Schlagen Sie sich alle beide aus dem Sinn: Ihren Kerl, den Kakambo, und Ihre Geliebte, die Baroneß Kunegunde. Martin war kein guter Tröster, auch wuchs Kandidens Schwermut täglich, und täglich rieb ihm der Manichäer die Ohren mit dem Beweise, daß es in der Welt nur wenig Tugend gäbe, wenig Glück, ausgenommen etwa im Eldorado, wo niemand hinkönne. Eines Tages, wie sie über diese wichtige Materie streitend und Kunegunden noch immer erwartend, über den St. Markusplatz gingen, ward Kandide einen jungen Theatinermönch gewahr, der ein Mädchen unterm Arm hatte. Der Theatiner war ein frischblühender, feister, herkulischer Gesell, mit kühnumschauendem Adlerblick, stolzer Miene und kecken Ganges. Sein Liebchen ein gar niedliches Ding, sie schäkerte singend neben ihm her, warf den vollen Blick der Liebe auf ihren Theatiner, und kniff ihm manchmal in die runden, vollen Backen. Nun, diese beiden Leute werden Sie doch wohl für glücklich erklären, sagte Kandide zu Martin; auf der ganzen bewohnten Erdkugel hab' ich, ausgenommen im Eldorade, nichts als Unglückliche gefunden; daß aber dies Mädchen und dieser Theatiner vollglückliche Geschöpfe sind, darauf wollt' ich wetten. Ich wette, sie sind's nicht! sagte Martin. Ich darf sie nur zu Gaste bitten, versetzte Kandide, so sehn wir gleich, ob ich mich geirrt habe. Sofort ging er auf sie zu, machte ihnen sein Kompliment und bat sie, in seinen Gasthof zu kommen und mit Makkaroni, lombardischen Rebhühnern, Stör-Rogen und etlichen Flaschen Montepulciano, Lacrimae Christi und Cyper- und Samoswein vorliebzunehmen. Das Mädchen ward rot, der Theatiner nahm die Einladung an. Das junge Frauenzimmer folgte ihm, blickte Kandiden mit einem Auge an, worin sich Bestürzung und Beschämung malte und manche Träne trat. Kaum waren sie im Hause, so sagte die Dirn, die Kandiden abseits genommen hatte: Kennen Sie denn Gertruden nicht mehr, lieber Herr Kandide? Dieser, dem Kunegunde stets vor Augen schwebte, hatte vorher nur einen flüchtigen Blick auf dies Mädchen geworfen, jetzt faßt' er sie fest ins Auge und sagte: Wären Sie's wirklich, liebes Kind, Sie, die dem armen Magister ein so schönes Geschenk gemacht haben? Ach ja, mein Herr, ich bin's, sagte Gertrud. Wie ich höre, so wissen Sie bereits alles! Nun ich weiß auch, wie höchst kläglich es dem ganzen Hause der Frau Baronessin ergangen ist, und was die schöne Baroneß Gundchen für ein entsetzliches Ende gehabt haben. Aber ich war, weiß Gott, die Zeit über auch nicht auf Rosen gebettet, hab' auf Dornen und Disteln gesessen. Als ich hin auf den Edelhof kam, war ich noch ganz unschuldig; darum fiel's meinem Beichtvater, einem Franziskaner gar leicht, mich zu verführen. Oh! was für gräßliche Folgen entstanden daraus; ich mußte das Schloß nicht lange nachher verlassen, als Sie der Herr Baron mit derben Tritten in den Hintern 'nausgeschubst hatte. Hätte sich nicht ein berühmter Doktor meiner erbarmt, ich wäre sicher drauf gegangen. Aus Erkenntlichkeit ward ich 'ne Zeitlang seine Mätresse. Seine Frau, das rasendeifersüchtigste Tier von der Welt, ein zehnmal ärgrer Satan von Weibe wie Xantippe, bläute mich tagtäglich so unbarmherzig wie'n neugebacknes Leutnantchen seines Hauptmanns Kompagnie. Ein unglücklichere Mädchen gab's wohl nicht wie ich. Tagtäglich richtig meine derbe Tracht Prügel eines Mannes wegen, den ich nicht lieben konnte, und tagtäglich Karessen und Liebkosungen diesem Manne, der 'ne wahre, alte Blocksbergsfratze war. 's ist 'n gefährlich Ding, wenn ein Zankteufel eine Doktorsfrau ist. Madame Brummeisen erfuhr's. Ihr Mann hatte endlich das Ding satt, gab ihr eines Tages, um sie vom Schnupfen zu kurieren, eine so wirksame Arzenei, daß sie zwei Stunden drauf mit den jämmerlichsten Verzückungen abschurrte. Die Anverwandten der Frau Doktern spannen einen Kriminalprozeß gegen den Mann an, der sich glücklich aus dem Staube machte und mich drin sitzen ließ. Man warf mich ins Gefängnis, woraus mich nicht meine Unschuld rettete, sondern meine ganz leidliche Gestalt. Der Richter setzte mich auf freien Fuß unterm Beding, des Doktors Stelle einnehmen zu dürfen. In einem Husch wurd' ich ausgestochen, mußte ohn' einen Heller von dannen wandern, und sah' mich genötigt, jenes abscheuliche Handwerk zu ergreifen, was euch Mannspersonen so angenehm dünkt und was für uns eine vollströmende unerschöpfliche Quelle des Elends ist. Ich ging nach Venedig, um hier mein Gewerbe zu treiben. Oh! mein Herr! Sie können sich nicht vorstellen, was das für eine Höllenmarter ist, alles durch die Bank weg karessieren zu müssen; bald 'nen alten Kaufmann, bald 'nen Advokaten, bald 'nen Mönch, bald 'nen Gondelführer, bald 'nen Abbate; jeder Beschimpfung preisgegeben zu sein; sich aufs Prellen zu verlegen. Oft ist man so rein herunter, daß man vom Juden ein armselig Fähnchen borgen muß, um sich's von der ekelhaftesten, fatalsten Prise, vom schlechtesten Schufte aufdecken zu lassen. Das bißchen, was man von dem einen verdient, wird einem von dem andern wegstipitzt; man schwebt immer untern Klauen der heiligen Engel, und hat im Prospekt weiter nichts als das Zuchthaus oder gar das Lazarett oder den Misthaufen, woselbst alsdann das abgemergelte, halbverfaulte, verrunzelte und verschrunzelte Gerippe fast in der Blüte der Jahre sein Leben verkeuchen muß. Wenn Sie sich das alles so recht lebhaft denken, so werden Sie sehn, daß es keine unglücklichere Kreatur auf der Welt gibt als mich. So schüttete Gertrud in einem Kabinett ihr Herz gegen den biedern Kandiden aus. Ha! halb war 'die Wette gewonnen! rief Martin, der mit zugegen war. Bruder Viola war im Speisesaal geblieben, und hatte sich derweil' an eine Flasche Cyperwein gemacht. „Du sahst mir aber so fröhlich, so zufrieden aus, Truddien. Wie ich dir begegnete, sangst so aus vollem Herzen, karessiertest deinen Theatiner mit so ungeheuchelter Liebeswärme, daß du mir eben so glücklich schienst, als du dich unglücklich ausgibst." Ach lieber Herr Kandide, sagte Gertrud. Das ist eben mit das ärgste Kreuz bei meinem Handwerk. Noch gestern wichste mich ein Offizierchen rein durch und zog mich rattenkahl aus, und heute muß ich die fröhlichste Laune affektieren, um mich bei einem Pfaffen anzuschmeicheln. Nun hatte Kandide schon genug und gab Martinen recht. Sie setzten sich beide mit Gertruden und dem Theatiner an den Tisch; hielten ein recht fröhliches Mahl und wurden beim Wein ganz offen. Herr Pater, sagte Kandide zum Mönch, Sie scheinen mir ein Los zu genießen, um das Sie jedermann beneiden muß; die blühendste Gesundheit lacht aus Ihrem Gesicht, Sonnenschein sitzt über Ihren Augbrauen und verkündigt, wie vollglücklich Sie sind, Sie haben das niedlichste Mädchen zum Zeitvertreib und scheinen mit Ihrem Theatinerstand höchst vergnügt. Ich wollte, alle Theatiner hätten einen Mühlstein am Hals und lägen im Meere, wo's am tiefsten ist, sagte Bruder Viola. Ich bin wohl schon hundertmal willens gewesen, das Kloster anzustecken und hinzugehn, und ein Türk zu werden. In meinem fünfzehnten Jahre mußt' ich nolens volens die verwünschte Jacke anziehn, damit mein ältrer Bruder — Gott und alle Heiligen verdammen ihn, den prassenden, putenjunkerschen Buben! — recht à son aise schwelgen kann. Ich wurd' in ein Kloster gebannt, das man gemeiniglich für einen Wohnsitz der religiösesten Ruhe hält; und das beim Lichte besehn weiter nichts ist als der Tummelplatz der Eifersucht, der Zwietracht und des Ingrimms. 's ist wahr, ich habe mir manchmal mit einem jämmerlichen Schnickschnack ein'ge Batzen in die Tasche gepredigt. Aber was hat's geholfen? Die Hälfte davon stiehlt mir der Prior weg und um's übrige bringen mich die Menschen. Wenn ich des Abends ins Kloster komme, bin ich so fuchswild, daß ich gleich den Kopf gegen die Wand rennen möchte, und all' meinen Brüdern in Paulo geht's nicht ein Haar besser. Nun hab' ich nicht die Wette ganz gewonnen, sagte Martin, indem er sich mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit gegen Kandiden wandte? Kandide gab Gertruden zweitausend Piaster und Bruder Viola'n tausend. Nun werden sie glücklich sein, sagte er, dafür haft' ich. Ich wahrlich nicht! versetzte Martin. Vielleicht machen Sie sie dadurch noch unglücklicher. Mag's ausfallen, wie's will! sagte Kandide. Ich tröste mich jetzt damit, daß ich sehe, wie man oft Leute wiederfindet, die man nie wiederzufinden verhofft hat; da ich meinen roten Hammel und Gertruden wiedergefunden habe, so kann sich's wohl noch fügen, daß ich Kunegunden wieder antreffe. Martin. Ich wünsch' es von Herzen, daß selbige Sie dereinst glücklich machen möge; zweifle aber noch sehr daran. Kandide. Hartherziger Mann. Martin. Was gar nicht zu verwundern. Ich habe lang' in der Welt gelebt. Kandide. Sehn Sie einmal jene Gondelführer an. Singen sie nicht mit dem frohsten Herzen vom frühen Morgen an bis zum dämmernden Abend. Martin. Werfen Sie einmal einen Blick in ihre vier Pfähle! Da werden Sie sehn, wie sie schmollen bei ihren Weibern und ihren Wechselbälgen von Kindern; Sie werden finden, daß Sorg' und Verdruß sowohl unterm Schindeldache des Gondelführers wohnt als unterm Palaste des Dogen. Recht beim Lichte besehn ist der Gondelführer immer glücklicher als der Doge. Doch die Waage zur Hand zu nehmen und abzuwägen, um wieviel, lohnt wahrlich! der Mühe nicht. Es ist, glaub' ich, ein so winzig Teilchen mehr, daß eine Mücke es auf dem Schwanze über den Rhein führen kann. Kandide. Ich habe mir sagen lassen, der Senator Pococurante, der dort in dem schönen Palaste auf der Brenta wohnt und jeden Fremden so freundschaftlich empfängt, soll der glücklichste Mann auf Gottes Erdboden sein; noch nie soll ihn ein Quentchen Unmut gedrückt haben. Martin. Das Wundergeschöpf möcht' ich wohl sehn. Sogleich schickte Kandide zum Signor Pococurante und ließ um die Erlaubnis bitten, ihm morgen aufwarten zu dürfen. Fünfundzwanzigstes Kapitel: Besuch beim Signor Pocourante, Nobile di Venezia Kandide und Martin setzten auf einer Gondel über die Brenta und kamen im Palaste des Nobile Pococurante an. Die Gärten waren sehr umfänglich und mit trefflichen marmornen Bildsäulen ausgeschmückt, der Palast im schönsten neusten Geschmack erbaut. Der Herr vom Hause, ein Sechziger und steinreich, nahm unsre beiden Neugierigen mit ungemeiner Höflichkeit auf; aber mit wahrer hofmännischer Kälte, was Kandiden nicht wenig stutzig machte, Martinen aber gar nicht mißbehagte. Sogleich trugen zwei niedliche, wohlgekleidete Mädchen Schokolat' auf, die sie zum perlendsten Schaum zerquirleten. Kandide konnte nicht umhin, sie wegen ihrer Schönheit, wegen ihres Anstandes und wegen ihrer Gewandtheit zu loben. Sind so ziemlich gute Krabben! sagte Senator Pococurante. Manchmal nehm' ich sie mit ins Bette. Denn Eure Stadtdamen bin ich überdrüssig; ich kann ihre Kokettereien, Eifersüchteleien, Kritteleien, Launen, Aufblasereien und Albereien unmöglich aushalten, und ihre ewige Bestellereien von Liedchen, selbst oder vor irgendeinem Mietspoeten gemacht. Doch bei alledem werden mir auch diese Dirnen schon höchst unleidlich. Nach dem Frühstück besahen sie die Bildergalerie; einen sehr großen geräumigen Saal Voll Menschen Glut und Geistes. Kandiden war bei dem Beschauen dieser Meisterwerke ganz wunderbar zu Mute; Sein Busen war so voll und bang Von hundert Welten trächtig; sein ganzes Wesen schien aufgelöst in einem Meer von Entzücken. Endlich rief er: Von welchem Meister? Und deutete auf ein paar Gemälde, woran er sich am meisten ergötzt, an welchen sein Auge noch mit unbeschreiblicher Bewundrung und liebewarm hing. Von Raphael, sagte der Senator. Ich war solcher alter Geck und kaufte sie vor etlichen Jahren rasend teuer; ließ mich dazu beschwatzen, weil man mir versicherte, schönre Werke der Kunst gäb's in ganz Italien nicht; ich kann aber nicht sagen, daß sie mir anstünden. Die Farben sind zu dunkel gehalten; die Figuren haben keine Rundung, nichts Hervorspringendes genug, die Draperien nichts weniger als Ähnlichkeit mit Gewändern. Mit einem Worte, was man auch drüber tratscht, treukopierte Natur find' ich gar nicht drinnen. Natur, Natur, die liebe Natur verlang' ich ohn' alle Ziererei so wie allenthalben, auch in Gemälden; aber wo gäb's solche Gemälde? Ich habe Kleckereien und Sudeleien die Menge, mag sie aber gar nicht mehr ansehn. Pococurante ließ, während das Diner besorgt wurde, ein Konzert geben. Kandide schwamm in Vergnügen, glaubte Sphärenklang zu hören. Auf eine Viertelstunde hört man das Gequinkeliere, den Dideldumdei wohl an, sagte Pococurante, aber währt's länger, so ist's jedermann überdrüssig, ohne daß eine Seele das Herz hat, es zu gestehn. Heutzutage nimmt die Musik hohen, sonnenhohen Flug, und da mag's der Teufel aushalten und lange mitfliegen. Vielleicht behagte mir die Oper besser, wann man nicht das Kunststückchen ausfindig gemacht hätte, sie zu einem Ungeheuer umzuschaffen, wobei sich mein Magen empört. Geh' hin, wer da will, in eure elenden musikalischen Trauerspiele, wo jede Szene dazu angelegt ist, querfeldein zwei oder drei lächerliche Liederchen anzubringen, welche die Kehle der Aktrice ins Licht setzen müssen. Fall vor Vergnügen in Ohnmacht, wer da will oder kann, wenn er einen Kastraten den Cäsar oder Kato hertrillern hört oder mit anmaßlicher Noblesse auf dem Brettergerüste herumspazieren sieht. Ich meines Orts habe schon längst all' diesen Lappereien entsagt, die heutigen Tages den Stolz von Italien ausmachen und die von auswärtigen Potentaten so teuer bezahlt werden. Kandide disputierte hierüber mit ihm, aber mit vieler Bescheidenheit, Martin aber war völlig der Meinung des Senators. Man setzte sich zur Tafel und nahm ein prächtiges Mittagsmahl ein. Wie man abgespeist hatte, ging man in Pococurantes Bibliothek. Kandiden fiel ein prächtiggebundner Homer ins Auge, und er machte dem Illustrissimo zu seinem Geschmack ein Kompliment. An diesem Werke, rief er, weidete sich der große Panglos, der beste Philosoph in ganz Deutschland. Und ich mich nicht im geringsten, sagte Pococurante ganz kalt. Ehmals wollte man mich bereden, ich fände an dessen Lektüre Vergnügen. Allein das ewige Vorgeleier von Schlachten, die sich ähnlich sehn, wie'n Ei dem andern, diese Götter, die in einem fort handeln und doch nichts Entscheidendes zustande bringen, jene Helena, die den ganzen Krieg angesponnen hat und die sich fast immer hinter der Kulisse hält; jenes Troja, das man immer belagert und niemals einnimmt; alles das wurmte mich so sehr, daß ich den Bettel in den Kamin werfen wollte. Ich fragte manchmal Gelehrte, ob sie nicht ebensoviel Langeweile bei dem alten Salbader empfänden. Wer offenherzig war, gestand mir, es ging' ihm nicht besser, doch müßte man ihn immer in seiner Bibliothek haben, ihn aufbewahren als ein Denkmal des Altertums und wie jene verrosteten Schaumünzen, die nicht mehr im Gange sind. Kandide. So denken doch Vossignoria nicht von Virgil? Pococurante. Ich räum' es ein, daß das zweite, vierte und sechste Buch seiner Aeneide trefflich sind, was aber seinen frommen Aeneas anlangt, den starken Kloanthes und Freund Achates, den kleinen Askan, den König Schwachkopf Latinus, die Spießbürgerin Amata und den Laffen von Weibe, die Lavinia, so glaub' ich nicht, daß man je was Matteres, Widerlicheres gesehn hat. Viel lieber will ich den Tasso lesen und all die Ammenmärchen des Ariost, worüber man stehend einnicken möchte. Kandide. Verzeihung, gnädiger Herr, finden sie viel Vergnügen daran, den Horaz zu lesen? Pococurante. Er hat Maximen, die ein Mann von Welt benutzen kann und die wegen ihrer angenehmen, lebhaften Einkleidung sich dem Gedächtnisse um so leichter einprägen. Allein seine Reise nach Brindisi und seine Beschreibung eines Mittagsbrots, das zusammengesudelt worden, sein Zankdialog im Karnschiebertone zwischen Gott weiß was für einem Rupilius, dessen Worte, wie er sagt, von Eiter troffen, und einem andern, dessen Worte nach echt italienischem Weinessig schmeckten, das alles ist mir höchst kahl und schal. Mit äußerstem Widerwillen hab' ich die Grobheiten gelesen, die er den alten Weibern und Hexen in den Bart wirft, ich seh' auch gar nicht ein, was das für ein großer oder kühner Gedanke ist, wenn er zu seinem Freunde Mäcen sagt: Wenn Du mich unter die lyrischen Dichter rechnest, werd' ich mit erhabnem Nacken an die Sterne stoßen. Aber so geht's; an einem beliebten Autor staunen die Blödhämmel alles als göttlich an. Ich lese bloß für mich, und was nicht in meinen Kram dient, steht mir auch nicht an. Kandide, der von der Amm' an zu nichts weiter gewöhnt war als zum Nachbeten, erstaunte höchlich über alles das, was er hörte, Martin aber fand Pococurantes Urteile gar nicht uneben. Ha! ein Cicero, rief Kandide. Den großen Mann werden Sie gewiß nicht müde zu lesen? Wahrlich nicht! antwortete der Venediger, denn ich les' ihn nie. Was schiert's mich, ob er dem Rabirius oder Cluentius den Prozeß geführt hat. Ich habe so Prozesse die Menge abzuurteln. Seine philosophischen Schriften wären noch eher mein Kasus gewesen; wie ich aber sähe, daß er alles bezweifelte, so schloß ich, daß ich grade so viel wüßte wie er, und daß ich niemandes Hilfe bedürfte, um unwissend zu sein. Oh! da sind vierundzwanzig Bände vermischte Schriften von einer Akademie der Wissenschaften, schrie Martin. Darunter könnte wohl was Guts sein! Und wäre auch, sagte Pococurante, wenn nur ein einziger von all' den Schmierern die Kunst erfunden hätte, Nähnadeln zu machen, so aber enthält der ganzeBraß nichts als Systeme, lauter Luftgut und nicht ein Spierchen Brauchbares. Was für eine Menge Schauspiele seh' ich dort, rief Kandide, italienische, spanische, teutsche, französische! Jawohl! sagte der Senator, es sind über dreitausend Stück, und der guten nicht drei Dutzend. Daß ich diese Sammlungen Predigten, die insgesamt nicht zwei Seiten von Addison aufwiegen, und alle jene dicken Folianten von Kirchenvätern und allen möglichen Theologastern nie aufgemacht habe, so wenig wie sonst jemand, das werden Sie mir wohl unversichert glauben. Martin ward einen Schrank gewahr, worin lauter englische Bücher standen: Ich glaube, es muß Wonne für einen Republikaner sein, die meisten dieser Werke zu lesen, die den Geist der Freiheit so stark atmen. Freilich ist's schön, hinschreiben zu dürfen was man denkt, sagte Pococurante, das ist das Vorrecht des Menschen. Allein in unserm ganzen Italien schreibt man bloß, was man nicht denkt; die jetzigen Bewohner der Gegenden, wo die Cäsars herrschten und die Antone, dürfen sich nicht unterstehn, einen Gedanken zu haben, wenn's ein Dominikaner nicht erlaubt. Wie gesagt, ich wäre sehr mit der Freiheit zufrieden, die den genievollen Briten begeistert, wenn nicht Leidenschaft und Parteigeist alles verdürben, was diese köstliche Freiheit Schätzbares hat. Kandide ward einen Milton gewahr und fragte, ob er nicht diesen Dichter für einen großen Mann hielte? „Ich, den Barbaren, der über das erste Kapitel des ersten Buchs Mose in zehn Büchern rauher Verse einen weitschweifigen Kommentar gemacht hat? Den plumpen Nachäffer der Griechen, der die Schöpfungsgeschichte ganz verhunzt hat, der, indem Moses den Allmächtigen schildert, wie er durch ein Werde die Welt hervorwinkt, seinen Messias einen großen Kompaß aus einem Wandschranke des Himmels hervorholen läßt, um einen Riß seines Weltgebäudes zu entwerfen? Ich, ihn schätzen, der Tasso's Höll' und Teufel verpfuscht hat, der den Lucifer bald in eine Kröte, bald in einen Zwerg verkappt, der ihn die Leier immer herableiern läßt, die er ihm einmal in die Hand gegeben hat, der ihm theologische Dispute in den Mund legt. Ich sollte den Mann schätzen, der Ariost's komische Erfindung mit dem Schießgewehr in gutem Ernst nachäfft und sich die Teufel in dem Himmel herumkanonieren läßt. Weder mir noch sonst irgend jemand in Italien können sie gefallen, diese kahlmäuserschen Alfanzereien. Welcher Mann, der nur ein wenig Gefühl fürs Schöne hat, kann die Heirat der Sünde und des Todes und die Schlangen, die Frau Sünde gebiert, lesen, ohne daß sich sein Magen empört! Und seine weitläufige, weitschweifige Beschreibung vom Hospitale gehört nur für einen Totengräber." „Dies dunkle, phantastische, ekelhafte Gedicht ward bei seiner ersten Erscheinung verachtet; und ich tue jetzt das, was gegen Milton seine Landsleute und Zeitverwandte taten. Übrigens sag' ich, was ich denke, und kümmre mich wenig darum, ob andre ebenso denken wie ich." Kandiden hatten diese Urteile ein wenig gebeugt, er hielt den Homer hoch und liebte den Milton. Sie kamen nunmehr vor einen Schrank, worin teutsche Dichter standen. Lassen Sie uns vorübergehn, lieber Martin, flüsterte Kandide ihm zu. Es möchte sonst wieder ein unbarmherziges Gericht ergehn. Wobei mancher von den Herren nicht mehr als sein Recht erhalten würde, sagte Martin. Das wohl, antwortete Kandide, aber er könnte so nebenher meine Lieblinge antasten, und das hielt' ich nicht aus. Pococurante beehrte sie noch mit einigen von seinen Urteilen; wir sind's aber satt, mehrere Schiefköpfigkeiten nachzuschreiben, und der Leser ist es auch gewiß, selbige zu lesen. Kandide brummte in den Bart: Ein großer, großer Kopf. Das nenn' ich noch Genie! Dem kann niemand etwas zu Danke machen ! Nachdem besagtermaßen Pococurantes Bücher die Mustrung passiert hatten, stiegen sie in den Garten herab. Kandide lobte alle dessen Schönheiten. Schönheiten? sagte der Eigner des Gartens. Das nennen Sie Schönheiten? Ist nichts als lauter Flitter- und Klipperkram: Ist purer purer Schneider Scherz Trägt nur der Schere Spur Und nicht das große, volle Herz Von Mutterlieb Natur. Doch nur Geduld, morgen liegt der ganze Bettel hier in einem Klumpen, und aus dem Schutt und Graus soll ein gar ander Ding aufstehn. Wo man hintritt, wo man hinriecht und hinsieht, soll Natur entgegenwittern, und doch soll's nicht so kunterbunt, so regellos wild sein wie in den so hochgepriesnen Gärten der Engländer. Als unsre beiden Neugierigen von dem Illustrissimo Abschied genommen hatten, sagte Kandide zu Martinen: Daß der Mann der Glücklichste unter allen Menschen ist, werden Sie mir doch wohl zugeben; er ist weit über alles erhaben, was er besitzt. Martin. Sehn Sie denn nicht, daß er alles dessen überdrüssig ist. Die Mägen sind nicht die besten, hat schon Plato vor Jahrhunderten gesagt, die nicht jede Speise vertragen können. Kandide. Aber, ist es nicht Wollust, jedes Ding zu bekritteln, Fehler aufzuspüren, wo andre Leute mit ihrer schlechtgeschliffnen Brille nichts als Schönheiten sehn? Martin. Das heißt verdolmetscht, es ist Wollust, gar keine Wollust zu genießen. Kandide. Nun dann! so bin ich denn allein der Glückliche, wenn ich mein Gundchen in den Armen haben werde. Martin. Hoffnung ist noch das Beste, was der Mensch hat! Indessen verflossen Tage, Wochen, Monate, und kein Kakambo erschien. Kandide war in einem solchen Meer von Wehmut versenkt, daß es ihm gar nicht einfiel, wie weder Gertrud, noch Bruder Viola wiedergekommen waren und sich für die dreitausend Piaster bedankt hatten. Sechsundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin speisten mit sechs Ausländern. Wer diese Ausländer waren Eines Tages, als sich Kandide mit Martinen und den Fremden, die mit ihm in eben dem Wirtshause logierten, zu Tische setzen wollte, packt' ihn ein Mensch mit einem Rußgesicht von hinten beim Arme und raunte ihm zu: Daß Sie sich ja reisefertig halten! Vergessen Sie's nicht. Kandide dreht sich um und sieht Kakambo'n. Außer Kunegunden konnte kein Anblick für ihn überraschender und erfreulicher sein. Seine Freude artete fast in Wahnsinn aus. Mit der glühendsten Umarmung sagt' er zu ihm: Oh! sie ist also hier, meine Kunegunde! Wo ist sie denn, mein Bester, Einziger? Bring mich doch zu ihr. Laß mich doch mit ihr vor Freude sterben! Kunegunde ist hier nicht, sagte Kakambo; ist zu Konstantinopel. „Jesus und Gott! zu Konstantinopel! Doch es tut nichts. Und war' sie in China, ich flöge hin! Mit zu Schiffe! mit!" und Kandide hatte Kakambo'n schon zur Haustür hinausgerissen. Vor Essen kann daraus nichts werden, sagte Kakambo. Weiter kann ich Ihnen jetzt nichts sagen. Nur noch soviel: ich bin Sklave, mein Herr wartet auf mich. Ich muß in den Speisesaal und ihn bedienen. Sein Sie ja mäuschenstill, essen Sie Ihr Abendbrot und machen Sie sich reisefertig. Kandide war halb ein Raub der Freude, halb der Betrübnis; der Freude, der entzückendsten Freude, weil er bald sein Gundchen wiedersehn sollte und jetzt seinen treuen Sachwalter wiedergefunden hatte; der Betrübnis, daß er letztern als Sklave sähe. Sein Herz war in wildem Aufruhr, sein Kopf drehend und wirbelnd. Er setzte sich mit Martinen, der all' diesen Abenteuern ganz kaltblütig zuschaute, und sechs Fremden zu Tische, die bloß die Faschingszeit in Venedig zubringen wollten. Wie sie fast abgespeist hatten, sagte Kakambo zu einem dieser sechs Fremden, dem er bisher eingeschenkt hatte: Sire, Ihre Majestät können reisen, wenn's Ihnen gefällig ist, das Schiff ist klar. Hierauf ging er hinaus. Ohn' ein Wort zu sagen, sahen die Gäste einander voller Erstaunen an, als ein zweiter Bedienter sich seinem Herrn näherte und ihm sagte: Die Kutsche von Ihro Majestät steht zu Padua und die Barke ist bestellt. Sein Herr gab ihm einen Wink, worauf er fortging. Die Gäste machten noch größre Augen als vorhin, ihr Blick verriet immer mehr und mehr ihre steigende Verwundrung. Ein dritter Diener näherte sich einem dritten Fremden und sagte: Sire, folgen Sie meinem Rat und halten Sie sich nicht länger hier auf. Ich geh' und mache alles zurechte, Ihro Majestät. Sofort verschwand er. Kandide und Martin hielten das ganze Ding nunmehr für einen Karnevalsspaß. Ein vierter Bedienter sagte: Ihro Majestät können reisen, wenn's Ihnen gefällig ist. Der fünfte Lakai sagte eben das dem fünften Herrn. Allein der sechste hub an in ganz anderm Ton mit dem sechsten Fremden zu reden, der neben Kandiden saß. Bei meiner armen Seele! Sire, sagte er, Ihro Majestät können so wenig mehr auf Borg kriegen wie ich und 's is leicht möglich, daß wir heut' alle beide in den Schuldturm wandern müssen. Das Gescheitste, ich seh', wo der Zimmermann das Loch gelassen. Gott steh' Ihnen bei. Wie alle Bedienten hinaus waren, verharrten die sechs Fremden, Kandide und Martin im tiefsten Stillschweigen. Endlich brach's Kandide: Ein artger Fastnachtsspaß, meine Herren! Warum sind Sie aber grade alle gekrönte Häupter? Ich meinerseits muß Ihnen gestehn, ich bin kein König, so wenig wie mein Martin da. Jetzt nahm Kakambos Herr gravitätisch das Wort und sagte auf Italienisch: Ich bin nichts weniger als Fastnachtsnarr; ich heiße Achmet der Dritte; bin viele Jahre Großsultan gewesen; habe meinen Bruder entthront, und mein Neffe mich. Alle meine Wesire sind enthauptet worden, und ich bringe den Rest meines Lebens im alten Serail zu. Bisweilen erlaubt mir mein Neffe, Großsultan Machmud, gesundheitshalber herumzureisen. Diesmal hab' ich den Karnevalslustbarkeiten zu Venedig beigewohnt. Ein junger Mann, neben Achmet sitzend, hub nach ihm an zu reden. Ich heiße Iwan, sagte er; bin der Kaiser aller Russen gewesen; ward schon in der Wiege entthront, mein Vater und Mutter eingekerkert, ich im Gefängnisse erzogen; manchmal steht mir's frei, herumzureisen; meine Wächter verlassen mich aber nie. Ich bin hieher gekommen, um dem Karneval beizuwohnen. Und ich bin Karl Eduard, König von England, sagte der Dritte. Mein Vater trat mir seine Gerechtsame am Reiche ab. Ich suchte sie mit gewaffneter Hand zu verteidigen; man riß achthundert meiner Anhänger das Herz aus dem Leibe und schlug es ihnen um die Backen; mich warf man ins Gefängnis. Jetzt geh' ich nach Rom, meinen Vater zu besuchen, den König, der sowohl entthront ist wie ich, und meinen Großvater. Ich kam hieher, um dem Karneval beizuwohnen. Nunmehr nahm der Vierte das Wort und sagte: Ich bin König der Polen, beraubt meines Erbreichs durch das Kriegsglück, das auch an meinem Vater seine Tücke übte, ich habe mich völlig der Vorsehung anheimgestellt, so wie Sultan Achmet, Zar Iwan und König Karl Eduard, denen Gott ein langes Leben verleihen wolle. Ich kam hieher, um dem Karneval beizuwohnen. Auch ich bin König der Polen, hub der Fünfte an, verlor zweimal mein Reich, erhielt aber durch die Vorsehung einen andern Staat, worin ich mehr Gutes getan habe, als je alle Könige der Sarmaten an den Ufern der Weichsel haben tun können; auch ich stelle mich der Vorsehung anheim und bin hieher gekommen, dem Karneval beizuwohnen. Jetzt war die Reihe zu reden an dem sechsten Monarchen. Meine Herren, sagte dieser, an Größe gleich' ich Ihnen nicht, dennoch aber bin ich, so gut wie ein andrer, König gewesen. Ich heiße Theodor und ward zum Könige in Korsika erwählt. Sonst nannte man mich Ihro Majestät und jetzt mit genauer Not mein Herr. Sonst ließ ich Münze schlagen, jetzt hab' ich keinen roten Heller; sonst hatt' ich zwei Staatssekretäre und jetzt nicht einmal einen Bedienten. Ich sah mich ehemals auf einem Throne, und zu London mußt' ich lang' im Kerker auf einem Bunde Stroh liegen. Mir ist bange, daß mich hier das nämliche Schicksal trifft, ob ich gleich wie Ihro Majestäten hierher gekommen bin, dem Karneval beizuwohnen. Die fünf andern Könige hörten dieser Erzählung mit edlem Mitleide zu, und jeder gab dem Könige Theodor zwanzig Zechinen, um sich Kleider und Wäsche anzuschaffen, Kandide aber schenkte ihm einen Diamanten von zweitausend Zechinen. Wer muß wohl dieser simple Partikülier sein, der imstande ist, hundertmal soviel wegzugeben als jeder von uns, und der es auch tut! sagten die fünf Könige zueinander. In eben dem Augenblick, da man von der Tafel aufstand, kamen in eben dem Wirtshause vier durchlauchtige Herrschaften an, die das Kriegsglück gleichfalls um ihre Staaten gebracht hatte und die den Überrest des Karnevals zu Venedig zubringen wollten. Kandide, dem der Gedanke, seine traute Kunegunde aufzusuchen, die ganze Seele füllte, kümmerte sich um die Neuangekommnen nicht im geringsten. Siebenundzwanzigstes Kapitel: Kandidens Reise nach Konstantinopel Der treue Kakambo hatte es schon dahin gebracht, daß der türkische Schiffspatron, der den Sultan Achmet nach Konstantinopel führen sollte, Kandiden und Martinen mit an Bord nahm. Ehe selbige sich nach dem Schiff begaben, beugten sie sich tief zur Erde vor dem Schattenspielsmonarchen. Sehn Sie, sagte Kandide unterwegs, da haben wir nun mit sechs abgesetzten Königen gespeist, und unter diesen sechs Königen war noch dazu einer, dem ich einen Zehrpfennig gegeben habe. Vielleicht gibt's noch weit mehr unglückliche Prinzen. Wie glücklich bin ich dagegen, ich habe ja nur hundert Hammel eingebüßt und fliege nun meiner Kunegund' in die Arme. Ich versichre Ihnen nochmals, lieber Martin, Panglos hatte recht: Es ist doch die beste Welt! Wollte Gott, seufzte Martin. Allein, sagte Kandide, unser zu Venedig erlebtes Abenteuer hat wenig Wahrscheinliches. Hat man je gesehn oder gehört, daß sechs entthronte Könige in einem Wirtshause zusammen zur Nacht gespeist haben? Das schlägt grade nicht mehr aus dem gewöhnlichen Gleis als die meisten Vorfälle, die uns begegnet sind, antwortete Martin. Daß Könige entthront werden, ist ein Erzwerkeltagsstückchen, und daß wir die Ehre gehabt haben, mit ihnen das Abendbrot zu nehmen, nun wahrlich, das ist eine solche Lumperei, daß ich nicht begreife, wie ein Schüler vom großen Panglos, ein wirklich philosophischer Kopf, davon was hermachen kann. Kaum hatte Kandide den Fuß ins Schiff gesetzt, so stürzt' er auf seinen alten Diener, seinen Freund Kakambo zu und fiel ihm um den Hals. Nun, was macht meine Kunegunde? rief er. Ist sie noch immer das schöne Mädchen? Liebt sie mich noch immer? Oh, was macht sie? Du hast ihr unstreitig einen Palast zu Konstantinopel gekauft? „Ach! 's hat sich was zu palasten, lieber Herr. „Die gute Kunegunde steht da am Rande des Mare di Marmara und scheuert Teller und Schüsseln; ist Sklavin von einem Prinzen, bei dem das Küchengerät herzlich dünn gesät ist. 's ist der alte Fürst Ragotsky, dem die osmanische Pforte täglich drei Taler in seiner Freistatt zufließen läßt. Alles schlimm genug, aber der hinkende Bote kömmt noch erst nach. Der Baroneß ihr niedliches Lärvchen ist ganz zum Kuckuck; sie ist, mit Respekt zu sagen, 'n wahrer Popanz geworden." Mag's doch, sie sei Popanz oder schön, antwortete Kandide, so muß ich sie doch lieben; sie hat mein Wort, und ich bin ein teutscher Mann. Aber sag' mir, wie kann sie so zum Aschenbrödel herabgesunken sein? Du hast ihr doch fünf bis sechs Millionen gebracht? I ja doch! sagte Kakambo, hab' ich nicht dem Sefior Don Fernando d'Ibaraa y Figueora y Mascarenes y Lampourdos y Suza, Statthalter von Buenos Aires, zwei Millionen geben müssen, damit ich die Erlaubnis erhielt, Baroneß Gundchen mitnehmen zu dürfen? Und hat uns nicht all' das übrige ein Seeräuber redlich weggekapert? Und hat uns nicht eben dieser Seeräuber nach Capo Matapan, nach Milo, nach Nicaria, nach Samos, nach Aradh, nach den Dardanellen, nach Marmara, nach Scutari geschleppt? Kunegunde und die Alte dienen jetzt bei dem besagten Fürsten, und ich bin Sklave beim entthronten Sultan. Welche unendliche Kette von entsetzlichen Unglücksfällen! sagte Kandide. Doch ich habe noch einige Diamanten, damit werd' ich Kunegunden leicht befreien können. Nur schade, daß sie so häßlich geworden ist! Hierauf wandte er sich zu Martinen und sagte: Wen halten Sie wohl für beklagenswürdiger, den Kaiser Achmet, Zar Iwan, König Karl Eduard oder mich? Um hierüber zu urteilen, müßt' ich einen Blick in Ihrer aller Herz tun können, sagte Martin. Ha! versetzte Kandide, wäre nur Panglos hier, der würde ohne diesen Blick uns dies gewiß lehren. Ich weiß nicht, was für eine Waage Ihr Panglos hätte zur Hand nehmen können, um die Unglücksfälle der Menschen und ihre Leiden genau gegeneinander abzuwägen, sagte Martin. Ich meinerseits kann weiter nichts für gewiß behaupten, als daß es auf dem Erdenrund Millionen Menschen gibt, die hundertmal bedauernswürdiger sind als König Karl Eduard, Zar Iwan und Sultan Achmet. Wohl möglich! erwiderte Kandide. In wenig Tagen befanden sie sich auf dem Kanäle des Schwarzen Meers. Das erste, was Kandide tat, war, daß er Kakambo'n sehr teuer loskaufte, hierauf warf er sich ohn' alles Säumen mit seinen beiden Gefährten in eine Galeere, um an den Ufern des Mare di Marmara seine Kunegunde aufsuchen zu gehn, so häßlich sie auch immerhin sein möchte. Unter den Ruderknechten waren ein paar, die gar erbärmlich ruderten; auch sprach von Zeit zu Zeit der Levantefahrer mit seinem Ochsenziemer ihren nackten Schultern zu. Jeden Hieb fühlte Kandide doppelt; und er fuhr ihm durch Mark und Bein. Durch einen innern Zug angetrieben, naht' er sich ihnen und faßte sie schärfer in's Auge. So verunstaltet auch ihre Gesichter waren, so glaubt' er doch einige bekannte Züge darin zu entdecken; Züge, die einige Ähnlichkeiten von Panglos und dem unglücklichen gejesuiteten Baron hatten, dem Bruder von Baroneß Kunegunde. Diese Vorstellung machte ihn ganz niedergeschlagen, packte ihn heftig. Wahrlich, sagt' er zu Kakambo, nachdem er sie noch schärfer in's Auge gefaßt hatte, hätte ich nicht den Magister Panglos hängen sehn und hätt' ich nicht den Baron unglücklicherweise über den Haufen gestochen, so dächt' ich, das wären sie beide, die an diese Bank geschmiedet sind. Bei dem Namen Baron und Panglos stießen die beiden Ruderknechte einen lauten Schrei aus, standen still und ließen ihre Ruder fallen. Sogleich rannte der Levantefahrer auf sie los und verdoppelte die Schläge mit dem Ochsenziemer. Halten Sie ein, lieber Herr, halten Sie ein! rief Kandide. Ich will Ihnen geben, was Sie haben wollen. Heiliger Gott! das ist Kandide, schrie einer von den Ruderknechten. Wahrlich! das ist er, rief der andre. Träum' ich? Wach' ich? rief Kandide. Bin ich hier wirklich auf der Galeere? Ist das der Baron, den ich getötet? Ist das Magister Panglos, den ich habe hängen sehn? Wohl sind wir's! Ja, wir sind's! antworteten sie alle beide. Wie! ist das der große Philosoph? fiel Martin ein. He! Herr Levantefahrer, sagte Kandide, wieviel Lösegeld fordern Sie für den Herrn Leopold Woldemar von Donnerstrunkshausen, einen der vornehmsten Barone des Heiligen Römischen Reichs, und für den Herrn Magister Panglos, den allergründlichsten Metaphysiker in ganz Teutschland. Baron, Metaphysiker, sagte der Levantefahrer. Hum! Müssen wohl ansehnliche Ämter in deinem Lande sein! Nu, weißt du was, du Christenhund? Da sollst du mir für die beiden Christenhunde von Sklaven fünfzigtausend Zechinen geben. Die sollen Sie haben, mein Herr, sagte Kandide. Bringen Sie mich nur schnell wie der Blitz nach Konstantinopel, und ich zahl' Ihnen das Geld auf einem Brette. Doch nein, bringen Sie mich lieber zu Baroneß Kunegunde. Gleich bei Kandidens ersten Worten hatte der Patron das Schiff umgelegt und ließ nach der Stadt schneller zurudern, als ein Vogel die Lüfte durchschneidet. Kandide warf sich bald dem Baron um den Hals, bald Panglosen: Wie ist das möglich, lieber Baron, daß ich Sie nicht getötet habe? und wie können Sie noch leben, trauter Panglos, da Sie sind gehängt worden? Und wodurch sind Sie beide auf türkische Galeeren gekommen? Ist denn wirklich meine liebe Schwester in der Türkei? sagte der Baron. Nicht anders! antwortete Kakambo. So hab' ich dich denn wieder, lieber trauter Kandide, schrie Panglos, und drückt' ihn fest an seine Brust. Kandide stellte ihnen Kakambo'n und Martinen vor. Sie umarmten sich insgesamt und sprachen alle mit einem Male. Schon lag die Galeere, die mit Sturmwindsfittichen geflogen war, im Hafen. Man ließ einen Mauschel kommen, welcher Kandiden einen Diamanten, der hunderttausend Zechinen unter Brüdern wert war, für die Hälfte abschacherte. Will glaich verkrümmen af der Stell', gnädiger Herr, wo ich Sie kann geben ainen roten Heller mehr, sagte der Jude. Sogleich bezahlte Kandide das Lösegeld für den Baron und für Panglos. Letzter warf sich seinem Befreier zu Füßen und badete sie mit Tränen. Erstrer sagte mit hochadligem Kopfnicken: Ehster Tage sollen Sie Ihren Vorschuß wiederhaben, Kandide. Auf Kavaliers Parol! Ist's aber wohl möglich, daß sich meine Schwester in der Türkei befindet? Nicht nur möglich, sondern auch wirklich, sagte Kakambo. Sie scheurt jetzt einem siebenbürgischen Fürsten sein bißchen Zinn. Sogleich mußten zwei Juden kommen; Kandide verschleuderte wieder etliche Diamanten: sie setzten sich auf eine andre Galeere und eilten, Kunegunden zu erlösen. Achtundzwanzigstes Kapitel: Baron von Donnerstrunkshausen und Panglos erzählen, was ihnen bisher begegnet ist Verzeihung, Ihro Wohlehrwürden, nochmals Verzeihung, daß ich Ihnen den Degen durch den Leib gejagt habe, sagte Kandide zum Baron. Nichts mehr davon! antwortete dieser. Die Schuld war mein, muß ich gestehn; ich war ein wenig zu rasch. Doch Sie wollen wissen, was für ein Unglücksfall mich auf die Galeeren gebracht. Nun, so hören Sie. Wie der Bruder Apotheker aus unserm Kollegium meine Wunde geheilt hatte, die Sie tödlich glaubten, griff mich eine Partie Spanier an, führte mich fort nach Buenos-Aires, das meine Schwester eben verlassen hatte, und warf mich daselbst ins Gefängnis. Ich bat um Erlaubnis, nach Rom zum Pater General gehn zu dürfen. Man fand's aber für gut, mich nach Konstantinopel zu schicken, um bei dem dortigen französischen Ambassadeur Kaplansstelle zu vertreten. Ich hatte noch nicht völlig acht Tage diese Bestallung gehabt, als mir des Abends ein ungemein wohlgebildeter junger Sultans-Page aufstieß. Erstaunlich schwül war's den ganzen Tag über gewesen, der junge Mann wollte sich baden, ich nahm die Gelegenheit wahr und badete mich mit. Ich wußte nicht, daß der Hals darauf stand, wenn ein Christ mit einem jungen Muselman zusammen in puris naturalibus betroffen wird. Ein Kadi, der mich vor sich bringen ließ, sagte mir dies, ließ mir hundert Stockprügel auf die Fußsohlen geben und verdammte mich — aus ungemeiner Milde — zu den Galeeren. Himmelschreiendere Ungerechtigkeit, glaub' ich, ist wohl nie begangen worden . .. Aber ich bitte Euch, Kandide, sagt mir, warum befindet sich meine Schwester in der Küche eines zu den Türken geflüchteten siebenbürgischen Fürsten? Aber wie ist's möglich, trauter Panglos, rief Kandide, wie ist es möglich, daß ich Sie wiedersehe? Sonderbar muß es Ihnen freilich dünken, sagte Panglos, da Sie mich haben hängen sehn. Nach der Regel hätt' ich müssen verbrannt werden. Sie werden sich aber noch erinnern, daß es regnete, als gösse es mit Mulden, grad' als ich sollte geschmort werden. Dies Schlackerwetter ward so heftig, hielt so lang' an, daß man das Holz gar nicht zum Brennen bringen konnte. Da war also kein bess'rer Rat, als mich zu hängen. Ein Feldscher kaufte meinen Leichnam, nahm ihn mit nach Hause und hub ihn an zu sezieren. Er begann sogleich mit einem Kreuzschnitt vom Nabel an bis zum Schlüsselbein herauf. Erbärmlicher wie ich war wohl noch niemand gehängt worden. Der Vollstrecker der hochnotpeinlichen Halsgerichtsbarkeit bei der heiligen Inquisition, der Unterdiakonus war, verstand sich zwar perfekt darauf, Leute zu verbrennen, aber das Hängen war seine Sache gar nicht. Der Strick •war naß, glitschte also nicht, und er schlug einen ganz jämmerlichen Knoten. Kurz, ich hatte noch Leben, beim Kreuzschnitt schrie ich so laut auf, daß der Feldscher rücklings zu Boden stürzte und sich einbildete, er hätte den Teufel seziert. Halbtot vor Schrecken rannt' er Hals über Kopf zur Stubentür hinaus, und Hals über Kopf stürzt' er auch die Treppe hinunter. Die Frau kam über das Gepolter aus dem benachbarten Kabinett herzugerannt, sah mich mit dem Kreuzschnitt über den Tisch ausgestreckt liegen. Es kam sie noch ärgers Grauen an als ihren Mann, sie rannte volles Rennens nach der Treppe, fiel selbige herunter und auf ihre liebe Ehehälfte. Als sie sich wieder erholt hatten, hört' ich die Frau zum Manne sagen: Wie hast du dir's denn können einfallen lassen, Papachen, einen Ketzer zu sezieren? Weißt ja wohl, daß dergleichen Kerls immer den Teufel im Leibe haben. Will nur hurtig hinlaufen und einen Priester holen, damit der ihn austreibt. Bei diesen Worten lief mir's ganz kalt übern Nacken, ich glaubte, die Inquisition hätte mich schon wieder beim Schopf, raffte daher den wenigen Überrest meiner Kräfte zusammen und schrie: Um aller Heiligen willen, erbarmt Euch mein. Endlich bekam der portugiesische Barbier wieder Herz, ging herauf, flickte meine Haut wieder zusammen; seine Frau ließ es auch an keiner Pfleg' und Wartung mangeln, so daß ich nach vierzehn Tagen wieder auf den Beinen war. Der Barbier tat sich nach einem Dienst für mich um und brachte mich als Lakai bei einem Malteserritter an, der nach Venedig ging. Da ich aber von diesem meinem Herrn keine Zahlung erlangen konnte, so begab ich mich bei einem Venezianer Kaufmann in Dienst, welcher nach Konstantinopel reiste. Eines Tages kam ich auf den Einfall, in eine Moschee zu gehn; es befand sich niemand weiter darin als ein alter Iman und eine junge Andächtige; ein gar niedliches Dingelchen, das ihr Paternoster hersagte. Ihr liebreizender Busen war ganz unverhüllt. Ein schöner Strauß von Tulpen, Rosen, Anemonen, Ranunkeln, Hyazinthen und Bergschlüsselblumen steckte zwischen den warmwallenden Marmorhügeln, die so stark hüpften, daß sie den Strauß auf die Erde fallen ließen. Ich flog hinzu, hob ihn auf und steckte ihn wieder vor mit einer sehr ehrfurchtsvollen Geschäftigkeit und Zärtlichkeit. Beim Anordnen der Blumen bracht' ich so lange zu, daß der Iman in Harnisch geriet und um Hilfe rief, weil er sahe, daß ich ein Christ war. Man führte mich vor den Kadi, der mir hundert Schläge mit dünnen Röhrchen auf die Fußsohlen geben ließ. Ich ward grad' auf eben die Galeere und grad' auf eben die Bank geschmiedet, worauf sich der Herr Baron befand. Auf der nämlichen Galeere waren vier junge Marseiller, fünf neapolitanische Priester und zwei Mönche aus Korfu, die uns versicherten, dergleichen wären Alltagsgeschichtchen. Der Herr Baron behauptete stets, ihm wäre weit größeres Unrecht widerfahren wie mir; ich aber behauptete, es sei weit erlaubter, einem jungen Frauenzimmer einen Strauß wieder vor den Busen zu stecken, als sich in puris naturalibus mit einem Sultans-Pagen allein zu befinden. Wir disputierten beständig und empfingen richtig alle Tage unsere dreißig Karbatschenstreiche, als Sie durch die Verknüpfung der Begebenheiten in dieser Welt auf unsre Galeere kamen und uns loskauften. „Nun, liebster Panglos, blieben Sie noch immer bei Ihrem Satze, wie Sie gehängt, seziert, zerprügelt, Ruderknecht geworden waren? Hielten Sie noch immer diese Welt für die beste?" Noch immer! häng' ich fest an meiner ersten Meinung, sagte Panglos, denn mit einem Wort, ich bin Philosoph, und der läßt sein System nie fahren, überdies konnte Leibniz gar nicht unrecht haben, und zudem gibt's nichts Vortrefflicheres auf der Welt als die vorherbestimmte Harmonie wie auch Lehre vom Raum und von dem Unteilbaren der Natur. Neunundzwanzigstes Kapitel: Was maßen Kandide Kunegunden und die Alte wiederfand Indes, daß Kandide, der Baron, Panglos, Martin und Kakambo sich ihre Abenteuer erzählten, über die zufälligen und nichtzufälligen Begebenheiten auf dem Weltall vernünftelten, über Wirkungen und Ursachen, über das moralische und physische Übel, über Freiheit und über Notwendigkeit herumdisputierten und über die Seelenstärkungen, die man auf den türkischen Galeeren bekommen kann, war ihr Schiff an das Haus des siebenbürgischen Fürsten angelandet, am Strande des Mare di Marmara. Das erste, was ihnen ins Auge fiel, war Kunegunde und die Alte, die Servietten über eine Leine zum Trocknen hingen. Bei diesem Anblick erblaßte der Baron. Kandide, der zärtlich liebende Kandide, wich drei Schritt zurück, es überfiel ihn ein Grauen, als er die schöne Kunegunde so verwandelt sahe. Ihre Augen waren rot, triefend, ihr Busen brettern, ihre Wangen verschrumpft, ihre Arm' und Hände scharlachfarben und schuppicht. Um sie aber nicht zu kränken, naht' er sich ihr. Sie umarmte Kandiden und ihren Bruder; man umarmte die Alte, und Kandide kaufte sie alle beide los. In der Nachbarschaft lag ein kleines Vorwerk. Die Alte tat Kandiden den Vorschlag, es in Erwartung glücklicherer Zeiten zu kaufen. Kunegunde wußte nicht, daß sie war häßlich geworden; es hatte niemand davon einen Wink fallen lassen. Sie erinnerte Kandiden an sein Versprechen in einem so gebietrischen Tone, daß der gute Kandide sich nicht unterstand, ihr einen Korb zu geben. Er ging also hin zum Baron und notifizierte ihm, daß er seine Schwester heiraten würde. Diese Niederträchtigkeit von Seiten meiner Schwester und diese Frechheit von Seiten Ihrer, Kandide, werd' ich nie zugeben, sagte der Baron. Bei Gott! diese Infamie soll man mir nie vorwerfen! Die Kinder meiner Schwester würden nie Stifts- und turnierfähig sein! Nein, meine Schwester soll nie einen andern bekommen als einen Reichsfreiherrn. Kunegunde warf sich ihm zu Füßen und badete sie mit Tränen; er blieb unbeweglich. Hans Hasenfuß! rief Kandide. Ich habe dich von den Galeeren gerettet, habe für dich und für deine Schwester das Lösegeld bezahlt. Sie war hier Scheuermädel, ist häßlich wie die Sünde, ich bin so gutherzig und will sie zum Weibe nehmen, und du willst es nicht zugeben. — Töten kannst du mich, aber heiraten sollst du nie die Baroneß, meine Schwester, so lang' ich lebe, rief der Baron. Dreißigstes Kapitel: Schlußszene So rechte Lust hatte freilich Kandide eben nicht, Kunegunden zu heiraten, indes hatte er sein Wort einmal gegeben, Kunegunde drang so heftig in ihn, und der außerordentliche Junkerstolz des Barons verdroß ihn so sehr, daß er den festen Entschluß faßte, die Heirat zu vollziehen. Vorher pflog er mit Panglosen, Martinen und Kakambo'n geheimen Rat. Panglos verfertigte einen gar stattlichen Aufsatz, worin er bewies, daß dem Baron keine Gerechtsame über seine Schwester zustünden und daß sie nach allen Reichsgesetzen sich Kandiden konnte an die linke Hand trauen lassen. Martin stimmte dahin, daß der Baron sollte in's Meer geworfen werden. Kakambo tat den Ausspruch: Man müsse ihn wiederum dem Levantefahrer überantworten, eine Zeitlang an die Ruderbank schmieden und dann mit dem ersten, besten Schiffe nach Rom an den Pater General schicken. Diesem Gutachten ward einstimmig beigetreten; die Alte billigte es auch, wie sie's erfuhr; vor Kunegunden ward's verheimlicht. Mit etlichen Dukaten war das Projekt ausgeführt, und man hatte die Freude, einen Jesuiten zu überlisten und einen ahnenstolzen Gauch zu bestrafen. Verheiratet mit seiner Trauten, umgeben vom Philosoph Panglos und Philosoph Martin, vom klugen Kakambo und der weisen Alten und überdies im Besitz so vieler Diamanten, die er aus dem Vaterlande der alten Inkas mitgebracht, hätte man glauben sollen, daß Kandide das wonnigste Leben von der Welt führen müßte. Gewaltig geirrt! Die Juden hatten ihn so vielfältig geprellt, daß er weiter nichts übrigbehielt als sein Vorwerkchen; seine Frau ward täglich häßlicher und zugleich zänkisch und unleidlich; die Alte kränkelte in einem fort und war noch üblerer Laune als Kunegunde. Kakambo, der im Garten arbeitete und die Hülsenfrüchte nach Konstantinopel herein zum Verkauf trug, arbeitete und plackte sich ganz ab und vermaledeite sein Schicksal. Panglos war voll des bittersten Unmuts, daß er nicht mehr als Professor auf irgendeiner Universität seines deutschen Vaterlands glänzen konnte. Martin nahm alles, was ihn traf, gelassen hin, in der festen Überzeugung, daß allenthalben Elend und Unglück herrsche. Kandide, Martin und Panglos disputierten manchmal über Sätze aus der Metaphysik und Moralphilosophie. Unter ihren Fenstern passierten sehr oft Schiffe vorbei, die mit Effendis, Bassas, Kadis beladen waren, welche nach Lemnos, Mytilene und Erzerum ins Elend geschickt wurden. Es kamen frische Bassas, frische Kadis, frische Effendis wieder, welche an den Platz der vertriebenen traten und nicht lange drauf wieder aus selbigen vertrieben wurden. Es schifften gar wohleinballierte Köpfe vorbei, die der hohen Pforte überreicht werden sollten. Diese abwechselnden Auftritte gaben immer neuen Stoff zu neuen lebhaften Abhandlungen; wenn sie sich aber ausdisputiert hatten, herrschte eine so unausstehliche Langeweile unter ihnen, daß die Alte sich eines Tages unterstand, folgende Frage aufzuwerfen: Ich möchte wohl wissen, was schlimmer ist, hundertmal von maurischen Seeräubern geschändet zu werden, sein halbes Hinterteil sich abnehmen zu lassen, bei den Bulgaren Spießruten zu laufen, bei einem Autodafe gestäupt und aufgehängt zu werden, sich sezieren zu lassen, als Sklav auf den Galeeren zu rudern, kurz all' das Elend auszustehn, das wir insgesamt erlitten haben, oder sein ganzes Leben die Hand' im Schoße so hier zuzubringen. Eine wichtige Frage! sagte Kandide. Diese Frage brachte neue Betrachtungen auf die Bahn, und Martin zumal nahm Anlaß, hieraus zu folgern, der Mensch sei dazu geboren, sein Leben entweder in beständigem, krampfartigem Regen und Bewegen zuzubringen oder in der untätigsten schlaraff enhaftesten Langeweile. Kandide war ganz andrer Meinung, die er aber nicht äußerte. Panglos räumte zwar ein, er habe stets das gräßlichste Elend erduldet; verfocht aber demungeachtet sein einmal angenommnes System: „Diese Welt ist doch die beste", auf's eifrigste, ohn' im geringsten daran zu glauben. Jetzt ereignete sich ein Vorfall, der Martinen völlig in seinen verdammlichen Grundsätzen befestigte, Kandiden schwankender machte denn je und Panglosen nicht wenig in die Klemme trieb. Eines Tages kam nämlich Gertrud mit dem Bruder Viola in ihren Hof gewandert. Sie waren beide im äußersten Elende. Die dreitausend Piaster hatten sie Hals über Kopf durch die Gurgel gejagt, sich darauf getrennt, wieder ausgesöhnt, von neuem überworfen, im Gefängnis gesessen, sich daraus geflüchtet, und endlich war Bruder Viola Türke geworden. Wo sie hingekommen waren, da hatte Gertrud ihr Handwerk fortgesetzt, ohne damit was vor sich bringen zu können. Ich sah's wohl voraus, daß Ihre Geschenke bald zerrinnen und daß die Leute unglücklicher werden würden denn zuvor, sagte Martin. Sie und Ihr Kakambo hatten Piaster zum Scheffeln und waren deshalb doch nicht glücklicher wie Bruder Viola und Gertrude. Haha! sagte Panglos zu Gertruden. So führt dich doch der Himmel wieder zu uns, herziges Kind. Weißt du wohl, daß du mich um die halbe Nase, um ein Auge und ein Ohr gebracht hast. .. O wie du aussiehst! ... Doch das ist alles der Welt Lauf. Über diesen Vorfall fingen sie stärker an zu philosophieren denn je. Sie hatten in der Nachbarschaft einen weitberühmten Derwisch, der für den besten Philosophen in der ganzen Türkei gehalten wurde; zu dem gingen sie und frugen ihn um Rat. Panglos war Sprecher. Wir kommen zu dir, Meister, um von dir zu erfahren, wozu das sonderbare Geschöpf, Mensch genannt, ist geschaffen worden? Was kümmert dich das? sagte der Derwisch. Ist das deine Sache? Allein wohlerwürdiger Vater, hub Kandide an, es gibt gräßliches Elend auf Erden. Ob Elend oder Glück, gleichviel! antwortete der Derwisch. Wenn Ihro Kaiserliche Majestät ein Schiff nach Ägypten sendet, kümmert Sie sich wohl darum, ob's den Ratten und Mäusen im Schiffsboden behaglich ergeht oder nicht? Was soll man also machen? fragte Panglos. Schweigen! erwiderte der Derwisch. „Ich machte mir Hoffnung, über Wirkungen und Ursachen, über die beste der möglichsten Welten, über den Ursprung des Übels, über die Beschaffenheit der Seele und der vorherbestimmten Harmonie mich mit dir zu unterreden." Bei dieser Rede Panglosens warf der Derwisch ihnen die Türe vor der Nase zu. Während dieser Unterredung erscholl das Gerücht, daß zu Konstantinopel zwei Wesire des Diwans und der Mufti erdrosselt und viele ihrer Freunde angepfählt worden seien. Dieser tragische Vorfall gab einige Stunden lang nicht wenig Gemunkel. Wie Kandide, Panglos und Martin wieder nach ihrem Vorwerkchen zurückkehrten, fanden sie einen wackern Greis in einer Pommeranzlaube vor seiner Tür sitzen, um der Kühle zu genießen. Panglos, der ein ebenso neugieriges als disputiersüchtiges Geschöpf war, fragte ihn, wie der eben erdrosselte Mufti hieße. Das weiß ich nicht, antwortete der ehrliche Alte, ich hab' mein Lebtage nicht gewußt, wie irgendein Mufti heißt oder ein Wesir; habe kein Sterbenswort von der ganzen Historie gehört. Ich denke, all' die politischen Kannengießer und Pfannenflicker mit dem Maul und in der Tat reiten gemeiniglich am Ende gar übel an, und's kann ihnen gar nicht schaden. Ich meines Parts erkundige mich niemals, was in Konstantinopel vorgeht, schicke meine selbstgepflanzten Gartenfrüchte 'rein und damit holla! Wie er dies gesagt hatte, führt' er die Fremden in sein Haus; seine beiden Töchter und beiden Söhne setzten ihnen vielerlei selbstverfertigte Sorbets vor. Sie bestanden aus Kaimak, dem man durch eingemachte Zedratschale, Pommeranzen, Zitronen, Limonen, Ananas, Pistazien einen herben Geschmack gegeben hatte; aus mokkaschem Kaffee, unvermischt mit dem elenden batavischen und insulanischen. Hierauf beräucherten die beiden Töchter des guten Muselmans Kandiden, Panglosen und Martinen die Bärte. Sie müssen ein recht großes und prächtiges Landgut haben, sagte Kandide zum Türken. Weiter nichts als zwanzig Hufen, antwortete der Alte. Die bau' ich mit meinen Kindern an. Arbeit verscheucht die drei schlimmsten Feinde von uns, die Langeweile, das Laster und den Mangel. Kandide behielt diese Rede des Türken und bewegte sie in seinem Herzen. Ha, sagt' er zu Panglos und Martin, dieser gute Greis scheint sich ein Los verschafft zu haben, das dem Lose der sechs Könige, mit denen wir die Ehre gehabt zu speisen, weit vorzuziehen ist. Nichts gefährlicher in der Welt als Größe, sagte Panglos. Hierin stimmen alle Philosophen überein. Denn schließlich ward Eglon, der König der Moabiter, durch Ehud gemeuchelmordet; Absalon an den Haaren aufgehängt und mit drei Spießen durchstochen; König Nadab, der Sohn Jerobeams, ward durch Baesa getötet, König Ella durch Simri und König Joram und Ahasja durch Jehu, Königin Athalja durch den Priester Jojada; die Könige Jojakim, Jojachin und Zedekia wurden Sklaven. Ihr wißt das elende Ende von Krösus, Astyages, Darius, Dionys von Syrakus, Pyrrhus, Perseus, Hannibal, Jugurtha, Ariovist, Cäsar, Pompejus, Nero, Otto, Vitellius, Domitian, Richard dem Zweiten von England, Eduard dem Zweiten, Heinrich dem Sechsten, den drei Richards, Marie Stuart, Karl dem Ersten, den drei Heinrichen von Frankreich, vom Kaiser Heinrich dem Vierten? Ihr wißt ------ Ich weiß auch, sagte Kandide, daß unser Garten muß angebaut werden. Da haben Sie recht, sagte Panglos; denn wie Gott den Menschen in den Garten Eden setzte, setzte er ihn deshalb herein, ut operaretur eum, daß er ihn bebaute. Der beste Beweis, daß der Mensch nicht zur Ruhe geschaffen ist. Laßt uns arbeiten, ohne alle Vernünfteleien, sagte Martin. Das ist das einzige Mittel, sich das Leben erträglich zu machen. Dies lobenswürdige Vorhaben unterstützte die kleine Gesellschaft tätig. Das kleine Gütchen trug viel ein. Kunegunde war grundhäßlich, wußte aber ganz treffliche Pasteten zu backen; Trudehen stickte und nähte; die Alte besorgte die Wäsche. Sogar Bruder Viola blieb kein unnützes Rad am Wagen; er wurde ein sehr guter Tischler, ja sogar ein rechtschaffner Kerl. Und Panglos sagte manchmal zu Kandide: Jegliche Begebenheit im menschlichen Leben gehört in die Kette der Dinge. Denn wären Sie nicht Baroneß Kunegundens halber mit derben Fußtritten aus dem schönsten aller Schlössser gejagt, von der Inquisition nicht eingezogen worden, hätten Sie nicht Amerika zu Fuße durchwandert, dem Herrn Baron nicht einen tüchtigen Stoß mit dem Degen versetzt, nicht all' ihre Hammel aus dem guten Lande Eldorado eingebüßt, so würden Sie jetzt nicht hier eingemachten Zedrat und Pistazien essen. Gut gesagt! recht gut! sagte Kandide, allein wir müssen unsern Garten bestellen. |
index
|
||||||||
Casa Literaturii, poeziei şi culturii. Scrie şi savurează articole, eseuri, proză, poezie clasică şi concursuri. | |||||||||
Reproducerea oricăror materiale din site fără permisiunea noastră este strict interzisă.
Copyright 1999-2003. Agonia.Net
E-mail | Politică de publicare şi confidenţialitate